: Stunt & Slapstick
Ich bin einer von euch: Auch „Rush Hour“ löst dieses Versprechen ein. Womit sich Jackie Chan und sein Authentizitätsprinzip wohl doch noch im Westen etablieren ■ Von Thomas Winkler
Der entscheidende Teil eines Kinoabends mit Jackie Chan beginnt, wenn der Film eigentlich schon zu Ende ist. Das Saallicht beginnt leicht zu dämmern und die ersten schlüpfen in ihre Jacken, dann rollt auf der Leinwand da vorn nicht nur der Abspann. Dann findet die endgültige Verbrüderung zwischen dem Star und seinem Publikum statt. Neben oder hinter den Credits laufen die Outtakes mit dem amüsantesten Abfall aus dem Schneideraum: Versprecher und mißglückte Stunts. Guck mal, auch Jackie Chan fällt auf die Schnauze, und dann tut ihm was weh. Mit den Outtakes, mit dem öffentlichen Eingestehen des Scheiterns, unterschreibt der größte Star des asiatischen Kinos hochoffiziell das Versprechen, das der Film gegeben hatte: Ich bin einer von euch.
Die Botschaft vom Star aus dem Volk
Auch „Rush Hour“ ist ein Vehikel dieses ja durchaus demokratischen Prinzips, auf dem nicht zuletzt Chans vehementer Erfolg in Asien beruht. Neu an „Rush Hour“ ist der Erfolg, mit dem dieses Prinzip in einem großen westlichen Markt umgesetzt wurde. 33 Millionen Dollar spielte die 34-Millionen- Produktion bereits am Startwochenende in den USA ein, ein neuer Rekord für den Monat September. Bis heute hat der Film allein dort mehr als 150 Millionen Dollar umgesetzt und ist damit einer der erfolgreichsten Filme des letztes Jahres. Und das als eher altmodisches Buddy-Movie. Chan spielt einen Spezialagenten aus Hongkong, der in Los Angeles zusammen mit einem schwarzen Cop die entführte Tochter eines Diplomaten rettet. Chans Gegenpart gibt Chris Tucker, ein Stand-up comedian mit Maschinengewehrschandmaul, der bisher eher kleine Rollen hatte, aber seit dem Erfolg von „Rush Hour“ als Nachfolger von Jim Carey oder Eddie Murphy oder beiden gehandelt wird. Der abgesehen von der multiethnischen Besetzung eher konservativ inszenierte Film wurde in den USA als „The fastest hands in the East versus the biggest mouth in the west“ beworben.
So dürfen die beiden Co-Stars auf durchaus amüsante Art und Weise, aber doch allzu ausführlich in Klischees baden, kulturelle Unterschiede für manchmal recht billige Scherze mißbrauchen und ein paar Bösewichter zusammenschlagen. Dabei ergänzen sich das leicht infantile Geplapper von Tucker und der kindliche Slapstick von Chan. Doch wie meist bei Chan bleibt auch nach der Ansicht seiner ersten erfolgreichen US-Produktion die Frage: Was fasziniert die Menschen an seinen Filmen? Der Body Count ist minimal, die Explosionen eher ruhig gehalten, die Verfolgungsjagden und Stürze halbwegs realistisch, und Computeranimation gibt es erst gar nicht.
All das, was die wichtigste, die jugendliche Zielgruppe gemeinhin so ins Kino lockt, gibt es in mindestens fünf anderen Säalen des Multiplexes knalliger, bunter und übertriebener zu sehen. Jackie Chan sieht das ähnlich: „Je mehr amerikanische Filme ich mir ansah, um so ängstlicher wurde ich. Mit ihren Special effects können sie einfach jeden zum Actionstar machen. Eigentlich verstehe ich gar nicht, warum ich nach all diesen Jahren außerhalb Asiens auf einmal so erfolgreich bin.“
Fast scheint es, als sei zumindest das amerikanische Publikum ausgerechnet der Special-effects- Schlachten von Cameron und Konsorten ein wenig müde. Chan dagegen verspricht seinen Fans: „Ich mache alles selbst. Ich spiele keine Superhelden, sondern normale menschliche Wesen.“ Daß er bei Interviews ausdrücklich das übliche Stargehabe vermeidet, verpflichtet auch die Medien, die Botschaft vom Star aus dem Volke weiter zu verbreiten. So wird in Drehberichten gern erzählt, daß der größte Actionstar Asiens nicht einmal einen eigenen Wohnwagen auf dem Set hat und statt dessen ganz selbstverständlich zusammen mit den Statisten in der Maske sitzt.
Chan ist ein Gesamtkunstwerk, dem ausdrücklich nichts Künstliches anhaftet. Der Mann mag schauspielern, Regie führen, Drehbücher schreiben, Kampfszenen choreographieren, produzieren und sogar singen, er bleibt standhaft der harte Arbeiter und Handwerker.
Dieses Image hat sich Chan, der am 7. April 45 Jahre alt wird, seit frühester Kindheit – natürlich – hart erarbeitet. Seine Eltern verkauften ihn, als er sechs Jahre alt war und noch Chen Gang Sheng hieß, an eine Peking-Oper-Akademie, wo er zehn Jahre lang in bis zu 20stündigen Trainingstagen in Schauspielerei, Tanz, Gesang, Akrobatik und Martial-arts getrimmt wurde. Die Prügelstrafe war an der Tagesordnung. Erste kleine Rollen spielte er bereits als Achtjähriger. Er war noch nicht einmal volljährig, als er als Stuntman für zwei Bruce-Lee-Filme engagiert und jeweils vom Meister höchstselbst ausgeknockt wurde.
Nach dem Tode Lees versuchte dessen langjähriger Produzent und Regisseur Lo Wei, den talentierten Stuntman zum Nachfolger des Dragon aufzubauen, und gab ihm den Künstlernamen Cheng Long, unter dem Chan bis heute in der Volksrepublik bekannt ist.
Die Prügelstrafe war an der Tagesordnung
Als übermenschlich harter Kung- Fu-Kämpfer und Bruce-Lee-Kopie scheiterte Chan allerdings, die Filme floppten. Erst als ihn Lo Wei an eine andere Produktionsfirma auslieh, konnte der große Chaplin- und Keaton-Fan Chan in „Snake in the Eagle's Shadow“ sein komödiantisches Talent einbringen. Bis heute sind die Slapstick-Einlagen in den Kampfsequenzen, die sich trotzdem auf höchstem technischen Niveau befinden, sein Markenzeichen geblieben. Inzwischen ist er Besitzer von mehr als 20 Firmen, von der Produktionscompany über den Lichttechnikverleih bis zu einem Motorsportteam. Seine Popularität geht so weit, daß sich zwei weibliche Fans umbrachten, als Gerüchte über seine Heirat auftauchten. Daß er seit den 80ern bereits Vater ist, hielt er deshalb bis vor kurzem geheim.
Trotz seiner unglaublichen Popularität in Asien scheitert in den 80ern ein Versuch, sich auch im Westen zu etablieren. Erst nachdem 1996 „Rumble in the Bronx“, der von Hongkongs größter Produktionsfirma Golden Harvest mit dem US-Markt im Hinterkopf und als Joint-venture mit New Line Cinema produziert wurde, am Startwochenende überraschend die Nummer eins der US-Kinocharts wird, macht Chan die übliche Tour von Letterman über Leno bis zu Conan O'Brien.
Chan hat drei Elemente als Erfolgsformeln für seine Filme festgeschrieben. Der Protagonist ist nur ein widerwilliger Held, er geht einem Kampf aus dem Weg, wenn es geht. Eine junge Frau oder, noch besser, ein Kind befinden sich in Gefahr; und drittens und am wichtigsten: Er wird sich niemals doubeln lassen. Das geht so weit, daß er als Regisseur auch seine Schauspieler manchmal zwingt, ihre Stunts selbst zu machen. „Jackie will, daß alles möglichst authentisch wirkt“, erzählt zum Beispiel Maggie Cheung, „er und die Männer in der Crew haben immer viel Spaß daran, uns Frauen auf die Nase fallen zu lassen.“
Filmgewerkschaften waren in Hongkong schon immer ein Fremdwort und die Arbeitsbedingungen in der Kronkolonie berüchtigt, aber bei Chan hat der Verzicht auf Absicherungen nicht nur Kostengründe. „Es ist sehr wichtig, daß ich mich verletze, wenn ich einen Film mache“, hat Chan erzählt. Indem er die Stunts tatsächlich so ausführt, wie sie später auf der Leinwand zu sehen sein werden, versichert er seinem Publikum, daß er eben nicht Stallone oder Schwarzenegger, sondern wirklich noch ein Mensch ist.
Die willkommene Legendenbildung
In gewisser Weise suggeriert diese Authentizitätsmanie, daß sich notfalls auch jeder aus dem Publikum aus jedem beliebigen Stockwerk stürzen könnte. „Jeder kann Supermann sein“, sagt Chan, „aber niemand kann Jackie Chan sein.“
Daß er seit einem dieser Stunts auf einem Ohr fast taub ist, ist längst Heldenfolklore geworden. Daß er 1987 bei den Dreharbeiten zu „Armour of God“ von einem Ast abrutschte, 10 Meter tief stürzte und in einem jugoslawischen Krankenhaus fast gestorben wäre, trägt nur zur willkommenen Legendenbildung bei. Seit diesem Unfall hat er ein Loch in seinem Schädel, das sich als Höhepunkt in eine schier unendliche Liste von Fleischwunden, gebrochenen Knochen und inneren Verletzungen einreiht, die auf den Fan-Sites im Internet immer wieder genüßlich heruntergebetet werden. Und im Abspann der Filme kann man dann echtes Blut sehen und wie der Hauptdarsteller auf der Trage den Set verläßt. Chan hat sein Team darauf getrimmt, auf keinen Fall die Kameras abzustellen, egal was auch passiert.
Die Kamera bleibt an, egal was passiert
„Rush Hour“ endet natürlich exakt so, wie man es erwarten darf. Die Bösen müssen bestraft werden und die Guten belohnt, denn Jackie Chan macht immer Filme für die ganze Familie. „Bei mir gibt es keine schmutzigen Worte, keine schmutzigen Witze, keinen Sex“, verspricht er, „die Leute wissen, was sie zu erwarten haben, und das bekommen sie auch.“
Hier wird nicht aus der Unternehmensphilosophie von Disney zitiert, aber während Hollywood diese konservativen Prinzipien (nicht nur, aber auch in „Rush Hour“) konservativ inszeniert, sind Chans Hongkong-Filme zutiefst anarchische Veranstaltungen, in denen er seiner Verehrung für den Slapstick der Stummfilmzeit hemmungslos freien Lauf läßt. Das überschreitet nicht selten die Grenzen des guten Geschmacks, ist oft nur noch infantil, nicht selten ziemlich peinlich, aber vermittelt halt wenigstens noch eine Ahnung von der kreativen Kraft der Filmindustrie Hongkongs, bei der Hollywood, allen voran sein liebstes Wunderkind Tarantino, nicht umsonst in den letzten Jahren sowohl inhaltlich als auch personell immer öfter geklaut hat.
Betrachtet man sich die Wanderungsbewegung von Kreativkräften, hat bisher vor allem die US- Filmindustrie von der Rückgabe der Kronkolonie an die Volksrepublik profitiert. Der Erfolg Chans im Westen ist zwar ein Aspekt dieses Exodus, aber beileibe nicht die Vorbereitung seiner eigenen Flucht. Andere mögen ja glauben, in Hongkong gehen die Lichter aus. Chan glaubt, er wird noch lange dort arbeiten können. Ralph Umard zitiert ihn in „Film ohne Grenzen“, seinem Buch über den Hongkong-Film: „Ich mache Unterhaltungskino, das werde ich auch nach dem Machtwechsel weiter machen können. Meiner Meinung nach werden in Hongkong zu viele Gewaltfilme, zu viele Sexfilme gemacht, wenn sich da was ändert, so ist das gut.“ Das klingt doch ganz nach dem Mann, auf den Hollywood gewartet hat.
„Rush Hour“. Regie: Brett Ratner. Mit Jackie Chan, Chris Tucker u.a., USA 97, 98 Min.
Das Buch für Fans: Jackie Chan und Yang Jeff: „Jackie Chan. Mein Leben in Action – Die Autobiographie“. Heyne Verlag, München 1999, Paperback, 342 S., 16,90 DM
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