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Eine Eskalation hätte weitreichende Folgen

■ Je länger die Nato in dem kriegerischen Konflikt auf dem Balkan verwickelt ist, desto wahrscheinlicher ist eine Zerreißprobe im Bündnis

36 Stunden nach Beginn der Nato-Luftangriffe gegen Restjugoslawien ist die weitere Eskalation des Konflikts noch völlig offen. Beide Seiten haben eine Reihe militärischer Optionen, deren Einsatz oder Nichteinsatz den weiteren Verlauf bestimmen werden. In jedem Fall dürfte der aktuelle Krieg auf dem Balkan erhebliche Auswirkungen haben auf die weitere Entwicklung der Nato-Strategie, die künftige Gewichtung der USA und Westeuropas innerhalb des atlantischen Bündnisses sowie für die Herausbildung der von der EU neuerdings unter der Überschrift „europäische Verteidigungsidentität“ angestrebten gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik.

„Die Fähigkeit der Regierung in Belgrad zur Fortsetzung der Offensive gegen die albanische Bevölkerung im Kosovo soll unterbunden werden.“ Diesem offiziell erklärten Ziel ihrer Intervention war die Nato zumindest bis gestern nachmittag mit ihren bis dahin erfolgten Luftangriffen auf über 40 Ziele in ganz Restjugoslawien keinen Schritt näher gekommen. Im Gegenteil: Nach den Informationen der wenigen ausländischen KorrespondentInnen – u. a. der BBC –, die die serbischen Behörden noch nicht ausgewiesen hatten, setzten die serbischen Armee- und „Sicherheitskräfte“ ihre Offensive unvermindert fort.

Gibt es in den nächsten Tagen keine deutlichen Anzeichen für eine Einstellung der serbischen Offensive und für ein Abflauen der Flüchtlingsströme, dürfte die Nato unter verstärkten Druck geraten, ihre Angriffe entsprechend ihres Operationsplanes „Entschlossene Kraft“ zu eskalieren. Der Plan sieht nach dem anfänglichen Beschuß von Luftabwehrstellungen Angriffe auf Truppeneinheiten, Kasernen und Materiallager der serbischen/restjugoslawischen Armee vor – und zwar auch im unübersichtlichen Gelände des Kosovo mit erheblichem Risiko für die albanische und serbische Zivilbevölkerung. Bleiben auch diese Angriffe ohne die erhoffte Wirkung und verweigert der restjugoslawische Präsident weiterhin die Unterschrift unter den Kosovo- Autonomieplan, werden in den Nato-Staaten sowohl die Forderungen nach einer Intervention mit Bodentruppen wie nach einem völligen Rückzug aus dem Kosovo- Konflikt lauter werden. Dem Bündnis droht dann eine Zerreißprobe. Der restjugoslawische Präsident Slobodan Milošević kann diese Entwicklung ruhig abwarten und militärisch zunächst nichts weiter tun, als die Offensive im Kosovo fortzusetzen mit dem Ziel, die weiterhin deutlich unterlegene Befreiungsbewegung UÇK zu vernichten und die südserbische Provinz möglichst weitgehend von ihrer albanischen Bevölkerung zu „säubern“.

Milošević kann den Konflikt aber auch jederzeit territorial eskalieren und damit die Nato in zusätzliche Verlegenheit bringen. Dazu angetan wären Luft- oder Raketenangriffe auf die jenseits der makedonischen Grenze stationierten Nato-Truppen, auf Nato- Kriegsschiffe in der Adria oder Luftstützpunkte in Norditalien. Über die militärischen Kapazitäten hierzu verfügen die restjugoslawischen Streitkräfte. Denkbar wären auch – möglicherweise mit Hilfe von Serben aus der bosnischen „Republika Srpska“ durchgeführte – Anschläge.

Je schneller Milošević in einer Weise einlenkt, die der Nato eine Einstellung der Luftangriffe erlaubt, desto größer ist die Chance, daß das Bündnis seinen ersten Krieg auf seinem bevorstehenden 50. Geburtstagsgipfel Ende April in Washington als Erfolg verbucht und als gelungenes Beispiel für die angestrebte neue globale Rolle auch ohne UNO-Mandat. Doch je länger der kriegerische Konflikt andauert, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit einer Zerreißprobe im Bündnis. Auf eine Intervention mit Bodentruppen werden sich die 19 Nato-Mitglieder kaum verständigen. Statt dessen werden in den USA die Stimmen erheblich an Gewicht gewinnen, die die Clinton-Regierung schon heute aufforden, sich aus dem Kosovo-Konflikt zurückzuziehen, weil er keine „nationalen Interessen“ der USA berührt, und die Lösung der Probleme auf dem Balkan den Europäern zu überlassen. Westeuropa ist auf die Übernahme dieser Rolle politisch wie militärisch überhaupt nicht vorbereitet. Unter diesen Umständen wäre die – auch ohne den aktuellen Kosovo-Konflikt schwierige – Verständigung auf eine neue Nato-Strategie auf absehbare Zeit nicht zu erreichen. Andreas Zumach

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