: Was die Zwangsarbeiter verdien(t)en
Ehemalige ZwangsarbeiterInnen klagen in Bremen auf Entschädigung. Gegner: Die rotgrüne Bundesregierung. Und die Gerichte verwechseln Birnen mit Äpfeln ■ Von Ulf-Martin Kubanke, Mitglied der Deutsch-Israelischen Juristenvereinigung e.V.
Die Thematik der „Entschädigung“ ehemaliger KZ-Häftlinge für geleistete Zwangsarbeit erfuhr während der letzten Monate sowohl in den Medien als auch in der öffentlichen Diskussion ein steigendes Interesse. Es mangelte bislang jedoch an einer sachverständigen Darstellung, welche die komplizierten Zusammenhänge aufzeigt und ein Verständnis derzeitiger politischer und rechtlicher Aktivitäten erleichtert. Dies zu ändern, ist das Anliegen der folgenden Abhandlung.
Dreh- und Angelpunkt der Problematik sind die derzeit laufenden Prozesse ehemaliger Zwangsarbeiter gegen die Bundesrepublik Deutschland in Bremen und Köln (bzw. Bonn) einerseits, sowie die Einreichung von Sammelklagen vor amerikanischen Gerichten gegen deutsche Firmen andererseits.
Die Bundesregierung zieht sich aus der Verantwortung ...
Beide Rechtsstreite haben jedoch nur wenig miteinander gemein. Dies liegt vor allem daran, daß die Sammelklagen der (inzwischen) amerikanischen Staatsbürger unter Federführung des Rechtsanwaltes Edward Donald Fagan derart hohe und überzogene Forderungen stellen (zweistellige Millionenbeträge pro Kläger mit der Zielsetzung des Ruins der beklagten Firmen), daß an ihrer Seriösität gezweifelt werden darf. Genau dieses Vorgehen hat die Bundesregierung Schröder dazu veranlaßt, die federführende Schirmherrschaft bei der geplanten Gründung eines Fonds zu übernehmen, in den die ehemals nutznießenden Unternehmen Entschädigungsbeträge einzahlen sollen. Schließlich behagte die Aussicht auf eventuelle Zwangspfändungen amerikanischer Gerichtsvollzieher an deutschen Tochterfirmen in den U.S.A. niemandem.
Eine nähere Beleuchtung der beiden Zwangsarbeiterprozesse in Köln (bzw. Bonn) und Bremen jedoch macht eine politische Doppelstrategie der Bundesregierung deutlich, die als zumindest fragwürdig einzustufen ist. Auf der einen Seite erklärt die rot-grüne Bundesregierung die Frage der Entschädigung für geleistete Zwangsarbeit sogar im Koalitionsvertrag zur „Chefsache“. Andererseits werden beide unter der Regierung Kohl begonnenen Rechtsstreitigkeiten gegen ehemalige Zwangsarbeiter fortgesetzt. Dabei verlangen diese ehemaligen KZ-Häftlinge nichts anderes als eine nachträgliche Vergütung der geleisteten Arbeit am Maßstabe eines damaligen deutschen Arbeiters. Solche Forderungen sind weder überzogen noch juristisch haltlos. Die Bundesrepublik vertreten durch die Bundesregierung gilt hierbei als rechtliche Nachfolgerin des Deutschen Reiches (nicht die Bundesregierung selbst, wie Sie versehentlich manchmal geschrieben haben). Dieses Faktum ist deshalb von immenser Bedeutung, da es schließlich Organe des Reichs waren, (zumeist die „SS“), welche die Betroffenen inhaftiert, zur Arbeit bei den Firmen gezwungen und von letzteren regelmäßig Gebühren für die „Überlassung der Arbeitskraft“ eingestrichen haben. Die Verantwortlichkeit der Bundesregierung ist demzufolge weder moralisch noch juristisch geringer zu veranschlagen als die der ehemals profitierenden Unternehmen. Sie sind vielmehr rechtlich sogenannte Gesamtschuldner. Dennoch versucht die Bundesregierung weiterhin beharrlich, eben diese Rechtsposition zu Fall zu bringen.
... und die Gerichte spielen mit
Dies führt nun zu der komplizierten juristischen Seite. Die klagenden ehemaligen Zwangsarbeiter sind ihrem Ziel durch die beiden Prozesse bisher nur unwesentlich näher gerückt. Die Gerichte haben eine Entgeltzahlungspflicht für Zwangsarbeit konsequent verneint. Nach dem richterlichen Verständnis hängt dies vor allem mit dem sogenannten Bundesentschädigungsgesetz (BEG) von 1956 zusammen. Dieses Gesetz regelt einen Großteil der bundesrepublikanischen „Wiedergutmachung“ in Form von Schadensersatz für erlittene NS-Verbrechen. Der Haken an der Sache ist nunmehr, daß hierin lediglich solche Schädigungen ersetzt werden, die anläßlich der Zwangsarbeit als dessen negative Folge entstanden sind. Hat jemand z.B. körperliche Gebrechen oder andere gesundheitliche Einbußen infolge des Arbeitszwanges erlitten, wäre dies ein zu ersetzender Schaden. Die Zwangsarbeit selbst ist jedoch nach diesem Gesetz nicht als ersatzfähig aufgezählt. Hieraus wurde geschlossen, man könne die erbrachte Arbeitsleistung eben nicht ersetzen, und dies erst recht nicht, wenn andere körperliche Schäden bereits finanziell abgegolten sind. Dies war bei einigen Klägern der Fall. Die Klagen wurden somit allesamt abgewiesen.
Mit dieser vertretenen Ansicht irren die Richter jedoch beträchtlich. Sie übersehen nämlich, daß die Kläger gar keinen Schadensersatz fordern. Sie klagen etwas völlig anderes ein, nämlich eine Gegenleistung in Form einer entgeltlichen Vergütung für umsonst erbrachte Arbeitsleistung. Natürlich steht dies, gerade weil es sich von den oben angesprochenen Folgeansprüchen unterscheidet, nicht im BEG. Folglich ist es schlicht rechtsfehlerhaft, wenn man diese Klagen mit Hilfe eines völlig unpassenden Gesetzes abweist.
Das folgende Beispiel vermag dies vielleicht zu verdeutlichen.
Der Arbeitslohn wird zum Schadenersatz
Niemand begreift einen Arbeitsplatz als Schadenszufügung, die es zu kompensieren gelte. Demzufolge würde niemand im eigenen Alltag auf die Idee kommen, daß Arbeitslohn an sich nichts anderes wäre, als Ersatz für den Schaden der beruflichen Arbeitstätigkeit an sich. Das wäre absurd. Nehmen wir nun einmal an, ein Arbeitgeber hätte seinen Arbeitnehmer versehentlich körperlich verletzt. Der Arbeitnehmer würde natürlich Schadensersatz und Schmerzensgeld verlangen. Wenn sich jetzt der Arbeitgeber weigern würde, seinem Angestellten zukünftig sein Gehalt zu zahlen und zwar mit der Begründung, er (der Ag.) hätte ja schließlich gerade den Schadensersatz gezahlt – das wäre schließlich dasselbe! – , so käme dies jedem zu Recht undenkbar und grotesk vor.
Nichts anderes jedoch hat die Rechtsprechung getan und dabei grundlegend verschiedene Ansprüche des deutschen Rechtes verwechselt und fehlerhaft über einen Kamm geschoren. Es sind gleichsam die sprichwörtlichen Äpfel und Birnen, die hier miteinander vermischt wurden. Man muß der Vollständigkeit halber jedoch erwähnen, daß diese Barriere des BEG eventuellen Klagen gegen die Unternehmen direkt nicht im Wege stünde. Die Erfolgsaussichten würden hierbei beträchtlich höher einzuschätzen sein.
Natürlich drängt sich nach dieser Darlegung die Frage auf: Wenn Fonds zugunsten ehemaliger NS-Zwangsarbeiter gegründet werden sollen und es zudem leichter ist, die ungerechtfertigt bereicherten Firmen zu verklagen, warum ist das vorstehend geschilderte Problem der staatlichen Entschädigung überhaupt noch wichtig und aktuell ?
Lächerliche Entschädigungen oder Zweiklassengesellschaft
Die Antwort ist recht simpel. Für einen hohen Prozentsatz der ehemaligen KZ-Häftlinge gibt es überhaupt keine Unternehmen mehr, bei denen man Ansprüche einklagen könnte. Sie sind in Konkurs gegangen und existieren nicht mehr. Folglich bleibt den Opfern gar nichts anderes übrig, als sich an den zweiten Hauptverantwortlichen in Form des Staates zuhalten.
Die zynische Schlußfolgerung hieraus ist folgende: Es gibt bis dato zwei Klassen von ehemaligen Zwangsarbeitern. Die einen hatten das relative „Glück“, bei Unternehmen wie z.B. Volkswagen „beschäftigt“ gewesen zu sein. Denn letztere existieren noch und sind ökonomisch stärker als jemals zuvor. Deren Forderungen könnten höchstwahrscheinlich eingeklagt werden. Die anderen haben exakt dieselben grauenvollen Erfahrungen machen müssen und stehen nun mit leeren Händen da, weil sie ihre Ausbeuter längst überlebt haben.
Die Fondslösung leistet hierbei keine Hilfestellung. Sofern die einzahlenden Firmen nur jeweils ihren ehemaligen Zwangsarbeitern finanzielle Zuwendungen angedeihen lassen, bleibt es bei dem festgestellten Zweiklassen-Ergebnis. Werden die „freiwilligen“ Summen jedoch unter allen Überlebenden aufgeteilt, so sind die Beträge für jeden Einzelnen lächerlich gering .
Dies zeigt die gesamte rechtliche, politische und nicht zuletzt auch menschliche Dimension der bisherigen richterlichen unfreiwilligen Fehlleistungen. Auch und gerade die Grünen als Teil der gegenwärtigen Bundesregierung müssen sich hierbei fragen lassen, weshalb sie einen Prozeß mittragen, für den sie die ehemalige Bundesregierung stets kritisiert und stattdessen ein „Sich der historischen Verantwortung stellen“ propagiert haben. Solange dies nicht wirklich auch hinter den Kulissen stattfindet, sind die Bekenntnisse zum geschichtlichen Bewußtsein nur potemkinsche Worthülsen; sind die derzeitigen geschäftigen politischen Aktionen zu Almosen entwertet.
Außerdem muß (leider!) gegenüber den Vertretern beider beteiligten Seiten ein weniger polemisch-aggressives Verhalten zugunsten einer niveauvolleren sachlich kompetenten Auseinandersetzung angemahnt werden. Äußerungen wie „durch dieses Urteil (...) in den Zustand eines Untermenschen zurückversetzt werden“ (Prozeßbevollmächtigter für Öffentlichkeitsarbeit der KlägerInnen, Klaus Freiherr von Münchhausen in der TAZ vom 4.12.1998, S.21) oder „Ich habe da nichts zu bieten“ (Kanzleramtsminister Bodo Hombach gegenüber den Industrievertretern im Hinblick auf Geld aus der Staatskasse; Spiegel Nr. 49, S.37) sind ebenso unintelligent wie falsch und kontraproduktiv. Die gesamte Auseinandersetzung verdient durchaus mehr Repekt als ein verbalrhethorisches Armutszeugnis in der Öffentlichkeit. Als nächste Instanz steht demnächst – den Bremer Prozeß betreffend – die Urteilsverkündung des OLG Bremen an. Es bleibt zu hoffen, daß die Bremer Richter nicht die Fehler des OLG Köln (und der anderen erstinstanzlichen Urteile) übernehmen, indem sie dessen Urteil vom 3.12.1998 schlicht „abschreiben“, sondern sich eigene konstruktive Gedanken machen.
Sollte dies nicht der Fall sein, so wird es für viele der ehemaligen KZ-Häftlinge immer ungewisser, ob sie – altersbedingt – das Ende dieses Zuges durch die Instanzen überhaupt noch erleben. Das Erfahren von ein wenig später Gerechtigkeit nach mehr als 50 Jahren wird dadurch nicht wahrscheinlicher.
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