: Veilchen werden an der Börse gehandelt
■ Es ist vollbracht: Als erster deutscher Verein gliedert Tennis Borussia seine Profiabteilung in eine Kapitalgesellschaft aus
Nach historischer Tat stärkten sich die Mitglieder von Tennis Borussia bei Braten mit Sauerkraut und Bier. Im Wilmersdorfer „Logenhaus“ hatten sie am späten Donnerstagabend Fußballgeschichte geschrieben.
Lediglich 4 von 562 Stimmberechtigten plädierten dagegen, daß die Charlottenburger Borussia ihre in der 2. Bundesliga beheimatete Profiabteilung in eine Kapitalgesellschaft ausgliedert. Damit hat TeBe als erster deutscher Klub die Grundlagen gelegt für den Gang an die Börse, wovor Top-Klubs wie Bayern München, Bayer Leverkusen oder Borussia Dortmund (bislang) zurückschrecken.
„Mir ist ein Stein vom Herzen gefallen“, gestand nach der Abstimmung ein gelöst wirkender Aufsichtsratsvorsitzender Erwin Zacharias, der zuvor mit einem flammenden Appell für die neugegründete „Kommanditgesellschaft auf Aktien“ (KGaA) geworben hatte.
Der Wirtschaftsprofessor von Hauptsponsor „Göttinger Gruppe“, der die Borussen 1996 vor dem Ruin bewahrte, sprach von einer „Weichenstellung“, die unabdingbar sei, um „Profifußball“ unter Profibedingungen abwickeln zu können. Gekonnt warf Zacharias mit Zahlen um sich, projizierte verlockende Zukunftsszenarien in die Menge, schwärmte von Merchandising, Marketing und wies schließlich nach England, dem ökonomischen Kickerparadies. „Sehen Sie die Paradebeispiele Manchester United oder Tottenham Hotspur, dort ist die Entwicklung grandios und phantastisch.“
Um 21.18 Uhr war die KGaA von der Basis abgesegnet. Die beiden Aktionäre der Kapitalgesellschaft, der TeBe e. V. (besitzt 75,7 Prozent der Anteile) sowie die „Göttinger Gruppe“ (24,3 Prozent), bringen ein Kapital von 7,5 Millionen Mark ein, das den Grundstock bilden soll für den sportlichen Höhenflug der Borussia. Die Menge hörte es gerne, es war Balsam für die geschundene TeBe-Seele, die seit Vereinsgründung im Jahre 1902 darunter litt – ausgenommen eine kurze Periode nach dem Zweiten Weltkrieg –, hinter Hertha BSC lediglich die Nummer zwei in Berlin zu sein.
Nun haben die Borussen den eine Liga höher angesiedelten großen Bruder überholt, was den organisatorischen Umbruch im Profi-Busineß anbetrifft.Denn die Herthaner befassen sich erst gedanklich mit der Gründung einer Kapitalgesellschaft.
Von der „alten Dame Hertha“ sprach in Wilmersdorf niemand mehr, um so lauter kursierten jedoch Namen von europäischen Größen wie Lazio Rom oder Real Madrid. TeBe ist bereit, die europäische Bühne zu entern. Bis 2005 wollen die „Veilchen“ erklärtermaßen in den Europapokal der Landesmeister vorstoßen. „Eine tolle Sache“, schwärmte der mit viel Beifall begrüßte neue Cheftrainer Winfried Schäfer, „das gehörte zu dem Konzept, über das ich mit der Vereinsführung gesprochen habe, bevor ich meinen Vertrag unterschrieb.“ Auch der „rote Winnie“ (in Anspielung auf seine Haarfarbe, nicht die Gesinnung) ist ein Zeichen des Umbruchs in Fußball-Berlin. Schäfer, der in Karlsruhe bereits Europapokal-Erfahrung sammelte, bezieht ein geschätztes Jahressalär von 2 Millionen Mark, während sein Hertha-Kollege Röber 800.000 Mark weniger pro Saison erhält und seine internationalen Lorbeeren erst noch ernten muß.
Geld ist aber nicht alles, denn ohne sportlichen Erfolg ist alles nichts. Versagen „unsere fixen Jungs auf dem Rasen“, weiß TeBe-Ökonom Zacharias, gerät das Modell rasch ins Wanken, „dann ist das nicht mehr heile Welt“. Selbst im gelobten England gab es bereits spektakuläre Börsencrashs, die Klubs wie die Londoner Traditionself FC Millwall nach einer Mißerfolgssträhne von der Bildfläche fegten. In spätestens fünf Jahren, schätzt Zacharias, müsse TeBe in Deutschland „zu einer Marke werden, zu einer festen Größe, sonst haben wir was falsch gemacht“. Schäfer verstand es als Auftrag. „Wir müssen in dieser Saison aufsteigen!“ Es war das Signal zum historischen Aufbruch ans Büfett. Daß die Handballabteilung den Spielbetrieb hatte einstellen müssen, wurde als Relikt aus der prärevolutionären TeBe-Epoche müde belächelt. Jürgen Schulz
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