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Wenn Punk zu Stadionrock wird

Pop im Fußball wird meist auf Marketing reduziert. Falsch: Pop ist nicht, wie viele Trikots Beckham verkauft, sondern wie er flankt. Pop fehlt immer da, wo DFB draufsteht  ■ Von Malte Oberschelp

Freiburg (taz) – Zum Thema Fußball und Pop ist in den letzten Jahren viel gesagt worden. Fußballspieler seien heutzutage Popstars, heißt es dann regelmäßig, und man erwähnt kurz den Namen Mehmet Scholl. In anderen Fällen kommt die Forschung gleich als klassische Homestory daher. Man erfährt, daß Lars Ricken Metallica mag und Matthias Sammer zu Hause deutsche Schlager im CD- Regal stehen hat. Hört, hört. Einmal auf diesem Niveau angekommen, fehlt eigentlich nur noch das Baby von David Beckham (Manchester United) und Victoria Adams (Spice Girls) sowie die Rod-Stewart-Legende: Der Mann habe sich in jungen Jahren zwischen einer Karriere als Fußballprofi oder Profimusiker entscheiden müssen. Any Questions? Well, yes.

Ansätze dieser Art nehmen Pop nicht als Kulturphänomen ernst, sondern reduzieren ihn auf bloßes Marketing. Pop ist Kommerz, und der Kommerz erobert den Fußball, also ist Fußball auch Pop, lautet die Botschaft. Natürlich würden die Manager und Merchandising-Strategen am liebsten jede Bundesligamannschaft zu einer elfköpfigen Boygroup erklären, nur: Pop ist mehr als eine Halle voll kreischender 14jähriger.

Darüber waren sich auch der Freiburger Autor Klaus Theweleit, der taz-Fußballkolumnist Christoph Biermann, Trini Trimpop (Ex-Schlagzeuger und später Manager der Toten Hosen) und Bundesligakeeper Richard Golz einig, die sich am Mittwoch abend im Freiburger Vorderhaus die Entwicklungen und Gemeinsamkeiten von Fußball und Pop vorgenommen hatten – auch wenn diese Diskussion einmal in der Bravo Sport begonnen hatte, deren Auflage, wie Biermann anmerkte, in letzter Zeit dramatisch gesunken sei.

Wenn Pop Kommerz ist, ist Fußball dann Pop?

Wie beide Bereiche widerspruchsfrei Massenappeal und Subversivität vereinigen können, schilderte Theweleit anhand der eigenen Biographie. Als Jugendlicher stellte für ihn die manische Beschäftigung mit Oberliga-Tabellen und den Charts der britischen Soldatensender eine „erste Systematik der Welterfassung“ und einen Realitätsbeweis dar, der in den Ordnungssystemen Schule und Elternhaus verhindert wurde: die Fußball- und Popsozialisation als Wachstums-, Emanzipations- und Körpererfahrungshilfe.

„Tabellen sind super“, fand auch Biermann, beharrte aber auf einem entscheidenden Unterschied zwischen Pop und Fußball: „Im Fußball muß gewonnen werden – das Image reicht nicht.“ Trimpop machte in den Stadien und Aufnahmestudios dieselben Gesetze aus: „Auf einer Band, die einmal erfolgreich war, lastet enormer Druck – die nächste Platte muß mindestens genausoviel verkaufen.“ An Richard Golz („Da gibt man Antworten auf Fragen, die es eigentlich gar nicht gibt“) entzündete sich derweil ein Diskurs, der die Funktion der öffentlichen Rede von Fußballprofis thematisierte. Weniger an Popstars denn an Politiker erinnere diese Form der Sprechmaschine, meinte dazu Theweleit. Der Popstar sei ausdrücklich angestellt für Grenzüberschreitungen, der Fußballer eher eine „gefesselte Figur“: Vor den Kameras darf er nichts sagen, was kontrovers verwertet werden kann.

Daß die Diskussion bei allen Exkursen und netten Anekdoten immer wieder auf die Medienmechanismen der Branche zurückkam, war bezeichnend – auch in Sachen Fußball und Pop ist die Kommerzialisierung des Sports die große Unbekannte. In den letzten Jahren war die Debatte von den kritischen Stimmen dominiert, die die Situation als eine Art Vertreibung aus dem Paradies darstellten. Die waren in Freiburg vertreten durch einen Teil des Publikums, das eine deutlichere Verurteilung der Berichterstattung in „ran“ forderte.

Bundesweit geißeln Organisationen wie das Bündnis Aktiver Fußballfans (BAFF) seit langem den wachsenden Einfluß von Sponsoren und Fernsehgeldern, parallel dazu werden die Amateursportplätze als vermeintlich unentfremdete Rückzugsräume entdeckt. Eine Argumentation, die an die des musikalischen Underground erinnert, nach der immer nur die erste Platte einer Band gut war und spätestens mit dem Wechsel vom Independent-Label zum Plattenmulti der künstlerische Ausverkauf begann.

Wo das Wort Stadionrock zum Schimpfwort wird und der Slogan „Reclaim the game“ rückwärtsgewandt Authentizität einfordert, kann aber kein Glamour entstehen. Pop war nie authentisch, sondern lebt von der Inszenierung. George Best und Günter Netzer wurden nicht zufällig zu den ersten Popstars der Branche, als Anfang der 70er Rock zu Glamrock wurde, also zur bewußten Pose. Daß diese Zeiten vorbei sind und Pop, wie wir ihn kannten, aus dem Fußball verschwunden ist, da waren sich die vier Freiburger Experten einig. „Jugendkultur ist heutzutage nicht mehr an Subversivität gekoppelt“, befand Theweleit. Was aber danach kommt und wie Fußballpop in den Zeiten der Sitzplatzschalen noch als kulturelles Verhaltensmuster funktionieren kann, blieb offen.

Champions League ist anders als Kreisklasse B

Um eine Neubewertung der Kommerzdiskussion wird man dabei wohl nicht umhinkommen. Die Champions League funktioniert anders als die Kreisklasse B; wer auf ein Madonna-Konzert geht, kann nicht auf den Regularien der Clubkultur beharren. Will man heutzutage Pop im Fußball, muß man deshalb ja zum Geld sagen: als notwendiges Produktionsmittel zur Bereitstellung der besten Ressourcen an Spielern, Trainern und Infrastruktur. Manchester United als reichster Verein der Welt kann dennoch Glamfußball sein. Oder: Mit welch maschinenhafter Präzision David Beckham von rechts flankt und wie unbarmherzig Andy Cole und Dwight Yorke dann ihre Tore machen, das ist womöglich Pop – nicht aber, wie viele Trikots mit ihren Namen darauf verkauft werden. Vielleicht ist das alles ja auch nur eine Frage des Standortnachteils. Es paßt ins Bild, daß sich die engagierten deutschen Fans Punkrock als fußballerisch korrektes Genre erkoren haben – auch hier unübersehbar das Bedürfnis nach Authentizität. Die Leichtigkeit zumindest, mit der die Britpopper Lightning Seeds zur letzten EM 30 Jahre englische Fußballgeschichte in ihren Song „Three Lions“ verpackten oder Nick Hornby Fußball und Musik in seinen Büchern verschränkt, sucht man hierzulande vergeblich.

Erst recht, was das DFB-Team angeht – so wenig Pop wie dort war in den letzten Jahrzehnten nie. Die Chancen stehen nicht gut, daß sich das heute nachmittag (Nordirland–BRD, 16 Uhr, ZDF) ändern sollte.

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