: USA: Ratlos vor dem Nato-Krieg
■ Angesichts der Luftangriffe und des serbischen Vorgehens mehrt sich die Kritik
Wenn der jugoslawische Präsident Slobodan Milošević nicht zum Frieden bereit sei, hatte Präsident Bill Clinton erklärt, so seien die USA bereit, seine Fähigkeit zum Kriegführen zu begrenzen. Diese Strategie geht offenbar nicht auf. Als Clinton am Sonntag auf dem Rasen des Weißen Hauses gefragt wurde, ob die Bombardierung für Serbiens Völkermord und -vertreibungspolitik verantwortlich sei, antwortete er gereizt: „Nein, auf keinen Fall.“
Das brutale Vorgehen der Serben und der Verlust eines US- Flugzeugs schockieren die politische Führung Amerikas, und es zeigt sich, daß sie offenbar über die ersten Schritte des Kriegs nicht hinausgedacht hat. Jetzt ist von Bodentruppen und von einer für Nato-Flieger viel gefährlicheren Ausweitung des Luftkriegs auf das Gefechtsfeld die Rede.
„Diese Regierung ist sehr gut darin, auf Krisen zu reagieren, und sehr schlecht darin, über Situation grundlegend nachzudenken“, kritisierte John Gaddis, Historiker von der Yale University. Die Historikerzunft hatte sich zwei Tage nach Clintons Fernseherklärung an das Volk in der New York Times zu Wort gemeldet: Clintons Vergleiche mit der Situation zu Beginn des Ersten Weltkrieges seien grobe Vereinfachungen. Zur Katastrophe sei es im Balkan immer erst gekommen, wenn sich Großmächte einmischen.
Der Gang der Ereignisse scheint die historische Lehre zu bestätigen und zugleich Clintons Begründung zu widerlegen, die Nato müsse eingreifen, um eine Destabilisierung des Handelspartners Europa abzuwenden: „Seit 10 Jahren tobt der Krieg auf dem Balkan, und Europa blühte und gedieh dabei“, schreibt Fareed Zakaria, Chefredakteur der Foreign Affairs, in der New York Times, „Wir wurden gewarnt, der Konflikt auf dem Balkan werde sich auf ganz Europa ausweiten, nichts davon ist geschehen. Wenn er sich jetzt ausweitet, dann wegen des Eingreifens der Nato.“
Dies sei eine Militäraktion ohne Beispiel, schrieb die Washington Post: „Ein Dutzend Staaten bombardieren ein Land ohne traditionelle Kriegsziele wie Verteidigung oder Besetzung von Territorien und ohne eine Definition dessen zu haben, was einen Sieg ausmachen würde.“
Erstmals erscheinen in der Presse die Opfer in einem differenzierten Licht. Unter der Überschrift: „Opfer nicht ganz unschuldig“ unterzieht Chris Hedges in der New York Times die UÇK, die Kosovo-Befreiungsarmee, einer kritischen Würdigung. Noch vor ein paar Jahren habe Robert Gelbard, einer von Amerikas Balkandiplomaten, sie als unbedeutende Terrorgruppe bezeichnet, und heute sei sie der neue Partner der USA. Ihr einziger Zusammenhalt sei Haß auf die Serben und der Traum von einem Großalbanien.
Im Pacific News Service, einem kleinen alternativen Nachrichtendienst in San Francisco, dessen Kommentare Zeitungen an der Westküste nachgdrucken, erklärt Franz Schurmann, Historiker an der University of California in Berkeley, die Ursprünge des Konflikts aus der Niederlage auf dem Amselfeld und beschreibt das Überleben des serbischen National- und Rachegedankens in Bergklöstern des Kosovo. Für die Serben müsse der Konflikt wie die Fortsetzung eines uralten nationalen Traumas erscheinen. Die Kommandos Nato Nord und Süd nehmen Serbien in die Zange wie ehemals das Osmanisches Reich und Habsburg.
Im Z-Net meldet sich der durch seine Kritik an Amerikas Vietnamkrieg bekannte Linguist Noam Chomsky zu Wort: Militäraktionen zum Beistand bedrohter Minderheiten habe in der Geschichte eine verhängnisvolle Tradition, erklärt er und verweist auf den japanischen Einmarsch in die Mandschurei, den deutschen Einmarsch in die Tschechoslowakei und den italienischen Einmarsch in Eritrea. In allen Fällen sollten bedrohte Volksgruppen und geknechtete Minderheiten – Mandschuren, Deutsche, versklavte Eritreer – geschützt werden.
Nach der Logik des Eingreifens zugunsten bedrohter Minderheiten fragt auch Fareed Zakaria: „Werden wir jetzt auch Kashmiris, Tibeter und Kurden schützen?“
Franz Schurmann verweist auf ein anderes Szenario: In Europa herrsche Arbeitslosigkeit, und Millionen von jungen Männern hätten nichts zu tun. Tote aus den europäischer Nato-Staaten und eine starke Flüchtlingsbewegung könnten zum Aufleben von Nationalismus, neuem Faschismus und Militarismus führen. Peter Tautfest, Washington
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