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Heldentum auf Duschvorhängen

■ Großstadtgrantler: Der US-Comic-Künstler Kyle Baker signiert heute bei Modern Graphics

Berlin ist, trotz der vitalen Karikaturisten-Szene, nicht gerade ein Comic-Mekka. Und was Besuche der Prominenz betrifft, so haben es Liebhaber der „neunten Kunst“ in der Hauptstadt auch nicht besser als Konzertgänger.

Erfreulich, daß die Kreuzberger Comic-Läden „Grober Unfug“ und „Modern Graphics“ schon seit einigen Jahren Entwicklungsarbeit leisten. Während im „Unfug“ neben der lokalen Zeichnerriege auch internationale Größen auftauchen und die verschiedenen Ausstellungen (zur Zeit: das US- amerikanische Poster-Genie EMEK) die ganze Bandbreite der Comic-Kultur bis hin zur gerahmtem Edition mit Einzelblättern ausloten, hat sich „Modern Graphics“ vor allem als Begegnungsstätte zwischen Comic-Machern und -Fans etabliert.

Das ist wohl nicht immer einfach und auch nicht unbedingt billig zu bewerkstelligen, doch der Unterhaltungswert der Signier- und Zeichenstunden sowie der leidenschaftliche Andrang der Comic-Leserschaft lohnt den Aufwand. In den vergangenen Monaten konnte man in der Oranienstraße unter anderem den „Ikonenmaler“ Alex Ross, den legendären Sergio Aragonés oder auch „Smalltown Boy“ Andreas Michalke treffen.

Nun ist Kyle Baker an der Reihe, einer der vielseitigsten und interessantesten „Autorenzeichner“ der amerikanischen Comic- Landschaft. Der New Yorker Baker hat sich in den letzten Jahren zwar immer wieder mit Auftragsarbeiten in dem mehr oder weniger superheldischen Heftchen-Mainstream finanziert, sein Talent und Einfallsreichtum gehen aber viel weiter. Der Durchbruch kam schon mit „Why I hate Saturn“ Anfang der neunziger Jahre, einem Porträt der Generation irgendwo zwischen X, Y und Z. Die Protagonistin, eine grantige, etwas antriebsschwache New Yorker Kolumnistin namens Anne, durchlebt die großstädtische Tristesse. Geldprobleme und eine weitgehend von geeigneten Lebensabschnittspartnern befreite, phrasen- und posenlastige Umwelt bestimmen ihren Alltag. Daß Annes sehr komische, sehr genau beobachtete Schwierigkeiten auch hier und heute nachfühlbar sind, spricht für die Qualität dieses „graphischen Romans“.

Während Baker „Why I hate Saturn“ mit Feder- und Pinseltechnik in Schwarz, Weiß und Sepia- Tönen eingefangen hat, arbeitete er bei seiner aktuellen Comic-Erzählung „You are here“ mit poppigen Farben und am Computer. Das funktioniert prächtig, weil Baker keine seichte Effekthascherei betreibt, sondern die diversen Bearbeitungsmöglichkeiten gekonnt einsetzt. So inszeniert er seine ironische Geschichte vom ehemaligen Ganoven, der nach einjährigem Aufenthalt an der Peripherie wieder in die große Stadt zurückkehrt und innerhalb eines Tages jeder nur denkbaren Gefahr und Peinlichkeit ausgesetzt wird, als „Film auf Papier“.

Vor allem ergibt sich aus der Vielzahl an Verstrickungen ein unterhaltsamer Blick auf Beziehungen und New York. „Kyles Arbeiten,“ heißt es im Abspann von „Why I hate Saturn“, seien schon auf Zillionen Covern, Duschvorhängen, Armbanduhren und im Fernsehen zu sehen gewesen. Thomas Klein

Kyle Baker signiert heute ab 17 Uhr bei „Modern Graphic“, Oranienstr. 22, Kreuzberg

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