: Rettung vor den Querspangen
■ Bremens oberster Denkmalschützer Hans-Christoph Hoffmann dokumentiert in einem üppigen Bildband 27 Jahre seiner Arbeit
Unglücklicherweise wurde das best erhaltene Bild Fitgers durch einen versehentlichen Mauerdurchbruch beim Umbau des Postamt 1 fast ganz zerstört. Nur dem Umstand, daß die Bruchstücke nicht zusammengekehrt, sondern der Restaurator geholt wurde, ist es zu verdanken, daß dieses Bild wiederhergestellt wurde.“ Manchmal hört sich Baukunde an wie ein verdammt guter, schlecher Witz. Unglücklicherweise! Dem Umstand! Der Umstand, daß auf 170 Seiten diese und andere putzige Anekdoten aus 25 Jahren Bremer Denkmalgeschichte in – glücklicherweise – nüchternen Worten, fast ein bißchen nach Altherrenart, kundig bilanziert werden, ist der Tatsache zu verdanken, daß der Verfasser seit 1971 Chef des Bremer Denkmalschutzamtes ist. Nun gilt es gemeinhin nicht als Zeichen feinen Stils, wenn Menschen über ihre eigene Arbeit schreiben und das Ergebnis als Sachbuch tarnen. Kenner aus der Bremer Architektenkammer meinten aber nach Lektüre, daß Hans-Christoph Hoffmann seine Sache redlich und gut gemacht hat.
Das reichlich bebilderte Buch erzählt im ersten Teil von den juristischen, steuerrechtlichen, personellen und finanziell nicht immer erfreulichen Bedingungen, in die sich Denkmalschutz in Bremen einzwängen muß. Der zweite Teil dokumentiert 26 Fallbeispiele: allseits Vertrautes wie das Rathaus, Übersehenes, das vielen Bremern aber beim täglichen Vorbeiradeln immer schon verdächtig interessant vorgekommen sein mag wie die Sandstraße 1, aber auch gänzlich Unbekanntes in Bremens Peripherie. Hoffmann bewahrt aber nicht nur Bremens Häuser vorm Verschwinden, sondern auch so schöne, altmodische Worte wie den Begriff „obwalten“. Das einzige Mal, wo seine Sprache ihre strenge Sachlichkeit verliert, ist beim Thema Graffiti: „Es sind die Schmierer und Sprayer, in den Medien schlimmerweise nur zu oft als Graffitikünstler hochgejubelt...“ Da blutet ein Herz. Ein sturer Apologet des Vergangenen ist Hoffmann aber trotzdem nicht. Zur Tünche der Bremer Häusern: „Die in den 70ern ausgeprägte Farbenfreude, die das Amt bewußt nicht bremste, hat sich von allein wieder gegeben.“ Jeder der das trashige LSD-Lila, Christbaumgrün, Schlammschlachtbeige, Rohes-Kotelett-Rosa an den „ursprünglich mehr oder weniger weiß“ behäuteten Reihenhäusern der Jahre 1850-1910 liebt und verehrt, würde Hoffmann jederzeit ganz für umsonst ein Graffiti auf die Nase sprayen. Und bei der Innengestaltung des Bremer Doms entschied man sich bei der immerwährenden Kernfrage „Welche Fassung?“ nicht für das Mittelalter, sondern für die Bemalung durch Hermann Schaper (1888-1901) und scheute sich nicht vor der wagemutigen Rekonstruktion von Verlorenem „im Geiste Schapers“. Und wenn Nagelspuren an der Decke auf Stuckornamente schließen lassen, läßt das Denkmalamt schon mal die Fantasie spielen, natürlich auf kunsthistorischem Fundament.
Ganz nebenbei gewinnt der Leser Einblicke in die moralische Befindlichkeit eines Großbürgers. Der Bauherr von Am Dobben 91 etwa philosophierte um 1860: „Wenn ich bei meinen Bauten nie etwas copiert habe, dann bei dem Grundsatze, daß es verdienstlicher ist, etwas weniger Gutes selbständig zu schaffen, als etwas Schönes, oder allgemein als schön anerkanntes nachzuahmen.“ Wie wahr. Außerdem erfährt man, daß Ende des letzten Jahrhunderts der Oberpostdirektor ranghöchster Reichsbeater Bremens war und deshalb mitten in seine Dienstwohnung im Postamt 1 einen riesigen, prunkvollen Festsaal hineingesetzt bekam. Daß der Beschluß von 1971 zu seiner Austilgung nicht umgesetzt wurde, verdankt sich Zufällen: Platzbedarf und Finanzsituation änderten sich. Bis zur zügigen Aufstockung der Denkmälerliste in den frühen 70ern fiel aber gar manches Bemerkenswertes der Grundstücksspekulation und stadtplanerischem Größenwahn zum Opfer. Im letzten Moment verhindert werden konnte ein Hochstraße-Dublikat mit dem idyllischen Namen „Mozarttrasse“ mitten durchs Viertel. Tatendurstige, krankvisionäre Begriffe wie „Straßendurchbruch“, „Verbindungstangente“, „Querspange“ drohten alles Kleine, Bescheidene zu verschlucken.
Und so erfährt man nicht nur, wie Originalmalerei unter einem Binderanstrich für eine restaurierungs-technisch weiter gediegene Zukunft bewahrt und darüber für die Gewegenwart nachgemalt wird oder wie Denkmalschützer manchmal mit Restaurateuren im Clinch liegen. Man begegnet nicht nur so klangvollen Worten wie „Baunaht“, „befundgetreu“, „Translozierung“. Hoffmanns schönes Buch ist auch ein Dokument für den schnellen Wandel der Werte, Präferenzen, Geschmäcker. Und vielleicht eine geheime Warnung an städteplanerischen Hyperaktivismus. Fragen stellen sich ein: Was werden wohl unsere Urenkel sagen zu Hafenzuschüttung oder Einkaufsmal-Müll? bk
H.-C. Hoffmann: „Erforschen, pflegen, schützen, erhalten“. Hausschild-Verlag, 68 Mark
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