Henning Harnisch: Schütteln und Backen
■ Wer Menschen über 2,08 Meter nach dem Wetter fragt, ist selber schuld
„Wer deckt den Langen?“ Es dauert einen Augenblick, bis ich realisiere, daß der aufmerksame Torhüter mich mit seiner lautstarken Aufforderung meint. Denn ein kurzer Blick um mich herum ins Strafraumgetümmel, wo in Erwartung des nahenden Eckballs gezerrt und gezetert wird, offenbart: Hey, wir sind auf dem Fußballplatz. Das ist Zwockelland! Du bist gemeint! Hier bin ich der Lulatsch, die Bohnenstange, der steife Abwehrspieler, Ihr persönlicher Rolf Rüssmann, der da für Eckbälle nach vorne tapert. Sie können nicht ahnen, daß ich noch nie in meinem Leben ein Kopfballtor erzielt habe und gewohnt bin, zumindest auf dem Bolzplatz, auf den Namen „Motorschaden“ zu hören. Das sind nur Nebengedanken, die mir in diesem Augenblick durch mein kopfballfreies Hirn schießen. Hauptsächlich konstatiere ich, ganz ambivalent, halb froh, halb traurig: Es ist soweit. Du hast das Paralleluniversum der Riesen verlassen.
Seit frühester Jugend war ich dort zu Hause, dort, wo Übergrößen und schlechte Kleidung miteinander spazieren gehen und über die Größe von Carsten Jancker geschmunzelt wird. Ein Land des Hochwassers, in dem der Tarzan Spargel heißt und Boote als Schuhe verkauft werden. Für diese Außenseiter der Gesellschaft erfand, Gott sei dank, im Jahre 1893 Professor Naismith die Sportart Basketball. Die Riesen hatten ihr Medium, das am Anfang ein Kürbis mit Löchern war. Dieser wurde auf 3.05 Meter befestigt und später durch einen Ring und ein Netz ersetzt. Seitdem wachsen Jungen und Mädchen in die Höhe, um diesem Korb etwas näher zu sein.
Die Eltern der Größenwahnsinnigen waren froh: Sie konnten ihre Kinder an einen Ort schicken, an dem sie nicht dem Spott und der Häme der Zukurzgekommenen ausgesetzt waren. Hier war man unter sich, die ganz Kleinen wurden nach und nach aussortiert und in den Fußballverein geschickt. Kinder kauften sich Streckmaschinen und ließen sich Sprungfedern verpflanzen, denn eins war und ist klar: Groß sollte man sein und springen muß man können, denn Basketball ist Dunking, da können noch so viele Trainer behaupten, daß auch der Korbleger zwei Punkte bedeutet. Oder wie erklären sich diese Klugscheißer die Tatsache, daß Zehnjährige Mini-Trampoline vor übermächtigen Körben plazieren, sie mit Weichmatten unterlegen und mit vollem Risiko, selig segelnd, auf ihr Ziel zusteuern. Oder Vierzehnjährige nach tausend Versuchen wenigstens einen Tennisball mit einer Hand greifen und dunken können, um in diesem schwierigen Alter zumindest ein kleines Erfolgserlebnis zu feiern.
Eingeschoben muß erwähnt werden, daß dieses Glücksmoment den Jungs vorbehalten ist, denn für Mädchen hängt der Korb – nicht nur während der Pubertät – einfach zu hoch. Es ist somit angebracht, niedrigere Körbe für die Frauen zu fordern, weil sie um die Schönheit ihrer Sportart gebracht werden. Es kann nicht sein, daß den Frauen, seien sie noch so groß, das Dunking verwehrt wird (Okay, es gibt ein, zwei Ausnahmen), und daß sie daher lieber Volleyball spielen, da dort das Netz für sie etwas niedriger gehängt wurde. Ich finde, das ist eine politisch korrekte Forderung, da möchte ich gleich noch auf die derzeit suggerierte Logik des Krieges kotzen, bevor ich erleichtert und unlogisch in der Kolumne fortfahre.
Diejenigen, die es mit dem Wachsen zuweit getrieben haben, werden es mir bestätigen: Ab 2,08 Meter hört der Spaß mit der Größe auf. Wenn Sie mir nicht glauben, fragen Sie Gunter Behnke, 2,21 m und Basketballspieler aus Bonn. Fragen Sie diesen herzensguten Menschen nach zu kleiner Kleidung, zu kurzen Betten, Autos, die nicht passen, fragen Sie ihn, was Sie wollen. Ich wette mit Ihnen, er wird Ihnen versichern, für all diese Dinge gibt es Lösungen. Aber eins können Sie mir glauben, fragen Sie Menschen über 2,08 Meter (wissenschaftlicher Schätzwert) nie: „Wie ist denn die Luft da oben?“ Das finden die nicht lustig.
Und deshalb warne ich Sie als ehemaliges und durchschnittsgroßes Mitglied der Basketballfamilie: Bitte, fragen sie Gunter Behnke und die anderen Riesen niemals nach dem Wetter. Es könnte sonst sein, daß trotz Sonnenschein die Antwort schwer nach Regen klingt.
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