: „Liebe taz...“ Abgehalfterte Grünen-Abgeordnete –Betr.: „Erschreckt!“, taz bremen vom 9. April 1999
Zwar ist das Erschrecken des Arendt Hindriksen psychologisch folgerichtig. Für den abgehalfterten grünen Bürgerschaftsabgeordneten sprang kein attraktiver Listenplatz mehr heraus. Jetzt möchte er bei einer möglichen Fraktionierung oder Spaltung der Grünen ganz vorne mit dabei sein. Allerdings sollte er dann sauberer argumentieren – und nicht neben kurzen Beinen vor allem auf ein kurzes Gedächtnis vertrauen.
In zwei Punkten hat Hindriksen recht: Es gibt seit 15 Tagen Bombenangriffe auf Serbien. Und Milosevic hat bisher nicht nachgegeben. Danach wird's absolut hanebüchen. Denn es gehört viel Verdrängungsvermögen dazu, um zu vergessen, daß es in Bosnien vier Jahre genau das gab, was Hindriksen fordert: Zugucken unter UNO-Mandat, während Milosevic alles vertreibt und schlachtet, was keine reinrassigen serbischen Vorfahren hat. Als die NATO damals eingriff, hörte das Metzeln auf.
Ihr Realitätsdilemma hat der Rest der sogenannten Friedensbewegung erkannt. Daher kein schlichtes empörtes „Stop it!“ wie zu Zeiten der Unschuld, sondern die Forderung nach einem UNO-Mandat für diesen NATO-Einsatz. Dann klagt man Handeln ein und weiß doch zugleich, daß es so dazu nicht kommt. Pharisäertum also – das weiterhin Nichtstun bei Völkermord propagiert, angesichts der bestehenden Veto-Regel im Weltsicherheitsrat. Solange Rußland und China „Njet!“ sagen müssen, vor allem wegen ihrer eigenen imperialen Vielvölkerproblematik, wird es nie ein UNO-Mandat zur Erzielung eines Autonomiestatus geben. Woher sollte also Druck auf Serbien kommen, wenn nicht von der NATO? Immerhin aber hat die Abstimmung im Weltsicherheitsrat sich mit zwölf zu zwei Stimmen für den NATO-Einsatz ausgesprochen. Daher keine „Selbst-Mandatierung der NATO“, sondern ein Mehr-heitsmandat – wenn auch kein Einstimmigkeitsmandat. Herr Hindriksen jedenfalls wäre froh, wenn er bei den Grünen noch soviel Zustimmung finden würde!
Ihm zufolge sollen die Vertreibungen der Albaner ein Resultat der Luftangriffe sein. Für wie blöd hält er die Leute? Ich kann mich vom letzten Oktober her, lange bevor das erste Flugzeug flog, noch an hunderttausende Albaner in den Wäldern erinnern, an brennende Dörfer, an plündernde serbische Banditen und Reihen von Toten in irgendwelchen gottverlassenen, verschlammten Gräben. Zudem gibt es Berichte von OSZE-Beobachtern über das Wüten serbischer Polizeieinheiten. Hindriksen vertauscht in propagandistischer Absicht Ursache und Wirkung!
Was ich in diesem Zusammenhang ewig nicht verstehen werde: Woher diese Zinksargallergie der deutschen Friedensbewegung? Weshalb ist für diese Gutmenschlein das Leben eines deutschen Soldaten immer wichtiger, als das Leben von tausenden Albanern? Die auf dem Balkan stationierten Soldaten sind allesamt Zeit- und Berufsfreiwillige. Zu diesem Beruf gehört es, daß sie schießen können und daß unter Umständen auch auf sie geschossen wird. Dafür wurden sie ausgebildet. Ihr ruft doch am lautesten, es seien bloß Mörder. Albanische Frauen und Kinder sind bestimmt keine Mörder.
Auch der angeblich „urgrüne Pazifismus“ steht auf sehr wackligen historischen Beinen. Die Gründungsphase der Grünen habe ich Ende der 70er, zu Zeiten der GAL, in Hamburg-Eimsbüttel unter Ebermann und Trampert miterlebt. Daß die Gewaltfreiheit – nicht jener organisierte Pazifismus, der zu Ostern heute neben Tschetniks hertrottelt! – als eine von vier Grundsäulen grüner Politik ins Programm Aufnahme fand, wurde damals von linker Seite am heftigsten kritisiert. Die grüne „Gewaltfreiheit“ war am Usprung vor allem innenpolitisch gemeint. Es ging darum, sich nach dem deutschen Herbst von der RAF und ihren Ablegern zu distanzieren. Was Ebermann und andere KB-Ableger damals ganz und gar nicht begreifen wollten, weil damit auch „die revolutionäre Perspektive“ zu Grabe getragen würde.
Die esoterischen Jungs und Mädels von den protestantischen und katholischen Pfadfindervereinen mit ihren lila Halstüchern, den Mahnwachen und dem „Hallelujah, Bruder!“ kamen später. Sie tun aber heute so, als wären sie grünes Urgestein. Das ist Geschichtsklitterung! Im gewaltfreien Eimsbüttel ging in jedem Plenum fröhlich die Sammelbüchse mit der Aufschrift „Waffen für El Salvador“ herum. Alle Dritte-Welt-Gruppen unterstützten reihenweise bewaffnete Befreiungsbewegungen.
Wer aus dieser älteren linken Tradition stammt – die den Moraltrompetern von Mutlangen immer skeptisch gegenüber stand – muß sich heute als „Kriegstreiber“, „Stahlhelmer“ und Schlimmeres beschimpfen lassen. Von Leuten, die inzwischen bis in den Wortlaut zur NATO, zum Kosovo und zu Serbien exakt die gleichen Positionen vertreten wie NPD und DVU. Die heute das Thema nutzen möchten, um die Grünen zu spalten.
Arendt Hindriksen – hau doch ab zur PDS!
Klaus Jarchow
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