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SPD läßt rot-grüne Flagge sinken

■  Sechs Monate vor der Abgeordnetenhauswahl hält es die SPD derzeit nicht für opportun, den rot-grünen Politikwechsel offen zu propagieren. Stimmung für Rot-Grün schlecht

Sechs Monate vor der Abgeordnetenhauswahl hat die SPD ein handfestes Problem: Ihre Chancen, die Große Koalition durch eine rot-grüne Regierung abzulösen, sinken. In den Umfragen fiel die SPD zuletzt auf 29 Prozent ab, die Grünen liegen bei derzeit 12 Prozent. Hinzu kommt der nicht gerade rühmliche Start der rot-grünen Bundesregierung.

Angesichts dieser Lage halten es SPD-Strategen für wenig opportun, ständig die rot-grüne Flagge hochzuhalten. „Man muß nicht ständig etwas im Munde führen, was von den Leuten mit Argwohn betrachtet wird“, hieß es gestern.

Selbst moderate Linke hegen inzwischen Zweifel, „ob die Leute einen nicht für verrückt halten, wenn man angesichts solcher Umfragewerte Rot-Grün zum Wahlkampfziel erhebt.“

Doch ist es ebensowenig opportun, solche Dinge öffentlich auszusprechen. So löste eine Äußerung von Parteivize Hermann Borghorst gestern einigen Wirbel aus.Er hatte aus pragmatischen Gründen vorgeschlagen, eine rot-grüne Koalition im Wahlkampfprogramm nicht explizit als Wahlkampfziel zu nennen. So war es auch kürzlich bei einer Klausurtagung der SPD-Spitze diskutiert worden: Erstes Ziel sei, daß die SPD stärkste Kraft werde und eine Alternative zur Großen Koalition anstrebe. Dies ist nur mit den Grünen möglich, so Borghorst.

Die SPD hält an ihrem Ziel eines rot-grünen Politikwechsels fest, stellte SPD-Fraktionssprecher Hans Stadtmüller gestern klar. „Wenn es im Parlament auch nur eine Stimme Mehrheit für Rot-Grün gibt, wird die SPD sich für einen rot-grünen Senat entscheiden.“

Doch angesichts des schlechten Erscheinungsbildes der SPD wird innerparteilich zunehmend Kritik laut. „Die Strategie der SPD ist nicht klar, die Inhalte sind nicht klar“, kritisierte gestern der Kreuzberger Kreisvorsitzende Andreas Matthae. Die SPD müsse sich entscheiden, mit welchen Themen sie die Meinungsführerschaft in der Stadt wiedergewinnen wolle. Der von der SPD angeregte Leinenzwang für Hunde sei wohl kaum das geeignete Mittel, um sich zu profilieren, spottete Matthae. Vielmehr habe der Regierende Bürgermeister Eberhard Diepgen (CDU) Punkte gemacht, der eine Ausnahmeregelung für Dackel gefordert und damit die Herzen alter Damen erobert habe.

Landesvorstandsmitglied Matthias Linnekugel kritisierte ebenfalls, daß der SPD „Konfliktthemen“ für den Wahlkampf fehlten, mit denen sich die Sozialdemokraten vom Koalitionspartner absetzen könnten. Dabei könne sich die SPD in der Wirtschaftspolitik und der Verkehrspolitik deutlich von der CDU abheben.

Kritik äußerte Matthae auch am Stand der Wahlkampfplanung. Das bislang vorgelegte Wahlkampfkonzept sei „dürftig“ und „allenfalls ein Gerüst, bei dem noch die Bausteine fehlen“. Auch habe die Partei SPD-Spitzenkandidat Walter Momper noch nicht deutlich genug als Alternative zu Eberhard Diepgen herausgestellt.

Zweifel hegt Matthae auch daran, daß der Regierungsumzug eine positive Stimmung in die Stadt bringe. „Das ist realititätsfremd.“ Eine rot-grüne Wechselstimmung werde damit nicht erzielt. „Mit dem Stichwort Rot-Grün lockt man derzeit niemand hinter dem Ofen hervor.“ Dorothee Winden

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