: Bratkartoffeln dank ICE-Toilette
■ Biogas aus Fäkalien wird in einem Freiburger Wohnhaus für Küchenherde genutzt
Es war ein ungewöhnliches Ansinnen, mit dem einige junge Leute vor die Mitarbeiter der Deutschen Bahn AG traten: Fäkalien aus den ICE-Toiletten hätten sie gerne, und zwar täglich. Zum Experimentieren. Und so geschah es, daß über fünf Monate hinweg die Hinterlassenschaften von Reisenden aus den modernen Vakuumtoiletten der Hochgeschwindigkeitszüge ins neue Freiburger Wohngebiet Vauban transferiert wurden. Dort setzten sie die Experimentatoren ein, um eine neue Form der Entsorgung zu testen. Oder sollte man zutreffender von einer neuen Form der Versorgung sprechen? Egal: Jedenfalls war es eine neue Form des Stoffkreislaufes, zugleich eine neue Form der Gewinnung regenerativer Energien.
In einem Container durfte die Masse fortan bei 37 Grad gären. Was dabei entstand, war wertvolles Biogas, das anschließend mit einem Gasherd genutzt werden konnte. Hin und wieder, so berichtet der Freiburger Biologe und Vordenker des gesamten Projektes, Jörg Lange, gab es dann schon mal eine Portion Bratkartoffeln. Erhitzt mit dem „nachwachsenden“ Rohstoff. Absolut klimaneutral, fast ebenso geruchsneutral. Und: „Außerdem absolute Forschung“, wie Lange sagt.
Eine spinnerte Idee war das nicht. Es war vielmehr eine Testanlage für den Alltagseinsatz, unterstützt vom Fraunhofer Institut für Systemtechnik und Innovationsforschung in Karlsruhe. Und weil die Pilotanlage in einem Container überzeugende Resultate brachte, wird es jetzt ernst: In einem viergeschossigen Haus für 40 Bewohner auf dem Gelände der ehemaligen Vauban-Kaserne in Freiburg werden die Abwässer künftig auf diese Weise verwertet – die städtische Kläranlage geht dabei leer aus. In einem Tank wird das Biogas gespeichert, um bei Bedarf für die Küchenherde zur Verfügung zu stehen. Im Frühjahr noch soll das Haus bezugsfertig sein – 1.450 Quadratmeter Nutzfläche stehen zum Wohnen und für Büros zur Verfügung.
Doch die Energiegewinnung ist für Jörg Lange nur ein Randaspekt: „Es geht uns in erster Linie darum, die wertvollen Substanzen aus dem Abwasser zurückzugewinnen.“ Er denkt dabei vor allem an die Elemente Kalium und Phosphor. Beide sind für das Pflanzenwachstum sehr wichtig. Mit hohem Energieaufwand werden diese Substanzen zunächst industriell gewonnen, um sie schließlich in der Landwirtschaft als Dünger einzusetzen. Sie werden dann von den Pflanzen aufgenommen, die dem Menschen als Nahrung dienen. Anschließend gelangen die Stoffe über das Abwasser in die Kläranlagen und werden letztendlich von den Flüssen ganz fein in der Umwelt verteilt. „Die wertvollen Elemente gehen damit für den Menschen verloren“, bilanziert Lange. Im Biogasreaktor aber entsteht ein Dünger, der wieder auf den Feldern ausgebracht werden kann: Der Kreislauf ist somit geschlossen. Und umweltfreundliche Energie gibt es obendrein.
Welche Zukunft die Öko-Toilette hat, kann Jörg Lange heute noch nicht abschätzen. Aus technischer Sicht jedenfalls könnte sie binnen kurzer Zeit marktfähig werden. Ein Folgeprojekt gibt es auch schon: Die Freiburger Solarsiedlung des Architekten Rolf Disch mit ihren 150 Wohneinheiten soll ebenfalls mit Vakuumtoiletten ausgestattet werden. Allerdings ist die Zukunft der Siedlung derzeit offen, nachdem der Bauträger, die Kölner Instag AG des Stuttgarter Musicalunternehmers Rolf Deyhle, wegen Finanzproblemen ins Gerede kam und sich aus dem Projekt zurückzog.
Langfristig, sagt Lange, gehe an einer ökologischen Abwasserbeseitigung kein Weg vorbei. Doch dieser Weg ist weit, da in den vergangenen Jahrzehnten viele Milliarden Mark in die konventionellen Kanalisationen investiert wurden. Der Wunsch des Pioniers: Bauherren und Stadtplaner sollen sich bei neuen Wohngebieten wenigstens einige Gedanken über die Biogastechnik machen. Bernward Janzing
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