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Belgrad bückt sich

Rock im Krieg: Hat Miloevic die einzige urbane Undergroundszene Exjugoslawiens gleichgeschaltet?  ■   Von Rüdiger Rossig

Der Belgrader Underground protestiert wieder gegen den Krieg – und für Miloevic? Die Berichte aus der serbischen Hauptstadt suggerieren genau das: Auf dem Dauerkonzert, das heute das 14. Mal hintereinander auf dem Platz der Republik im Stadtzentrum stattfindet, spielen neben den Turbo- Folk-Marionetten des Regimes auch Rocker gegen die Nato-Bomben. Gegen eine halbe Million albanische Flüchtlinge und die ethnische Säuberung des Kosovo singt nicht nur niemand – sie werden gar nicht erwähnt.

Das ist für die exjugoslawische Szene eine neue Qualität, wenn auf der Bühne Leute wie Gile von Elektricni Orgazam oder Cane, der Sänger der Punkrock-Legende Partibrejkers, stehen – Musiker, die bisher als die Repräsentanten der serbischen kulturellen Opposition gegen das Miloevic-Regime und die von ihm geführten Kriege galten.

1992, zu Beginn der Belagerung von Sarajevo, hatten Gile, Cane und einige andere Musikerfreunde die All-Star-Band Rimtukituti gegründet; zusammen schrieben sie „Mir, brate, mir“ (Frieden, Alter, Frieden), sammelten Geld, preßten das Stück auf eine Single und verschickten diese an alle größeren und einige kleinere Radiostationen in Europa. Das andere Serbien an alle: Es gibt uns noch!

1994 waren alle Mitglieder der Orginalbesetzung zu Gast in Berlin, wo sie „Mir, brate, Mir“ in einer Mega-Live-Version zusammen mit den Vjestice (Hexen) aus der kroatischen Hauptstadt Zagreb spielten. Die meisten Gäste dieses ersten gemeinsamen Konzerts serbischer und kroatischer Bands seit dem Kriegsbeginn 1991: kroatische, muslimische und serbische Flüchtlinge aus Bosnien. Rimtukituti waren so vor allem in den anderen Staaten Exjugoslawiens, aber auch für Gastarbeiterkinder und Flüchtlinge in den Jahren des Krieges ein Beweis dafür, daß sich nicht ganz Serbien auf den nationalistischen Irrsinn eingelassen hatte.

Spielt Miloevic' TV Serbija jetzt Rimtukituti? Aktuelle serbische Presse gibt es nicht mehr. In den Berichten, die ausländische Medien über das Belgrader Mammutkonzert bringen, steht nicht, wer dort spielt. Dafür gibt es viel Bild: „Wir müssen Tausende sein, um ihnen zu zeigen, daß wir keine Angst haben“, zitiert die Nachrichtenagentur AFP einen patriotischen Belgrader Jugendlichen. „Viele Zuschauer trugen Transparente mit sexuell unzweideutigen Botschaften an „Bill Klitoris“ und „Blair-Göring“, meldet dpa.

Sehen die Demonstranten sich selbst so sehr als die Opfer, daß sie die wahren Opfer gar nicht mehr erkennen können? Sind die Serben nach zwölf Jahren Miloevic und acht Jahren Krieg tatsächlich alle zu Tätern geworden?

1989 hat Cane, den ich Anfang der Neunziger in Belgrad kennengelernt habe, in „Hipnotisama gomila“ (Hypnotisierte Masse) beschrieben, wie Miloevic über die Medien die Köpfe der Serben beherrscht: „Wir machen nichts und gehen nirgends hin. Wir sind eine hypnotisierte Masse. Und einer hat den Schlüssel, der paßt. Damit öffnet er unsere Köpfe und tut alles mögliche hinein ...“ Intellektuelle wie der ehemalige Belgrader Bürgermeister Bogdan Bogdanovic haben die Machtübernahme Miloevic' und den damit einhergehenden Aufstieg von nationalistischem Massenkitsch – sogenannter Volkskunst – zur selben Zeit in anderen Worten beschrieben. Als der Präsident ein Jahr später das erste Mal Panzer zur Machterhaltung rollen ließ – gegen Massenproteste von Studenten und Arbeitern in Belgrad –, verkündete Cane, der Angriff der Dörfler auf die urbane Kultur habe begonnen. Von den Demonstrationen gegen die Kämpfe in Slowenien und Kroatien 1991 über die Konzerte gegen den Krieg in Bosnien bis zu den Anti-Miloevic-Protesten 1997 –Cane und die Partibrejkers waren immer ganz vorne dabei.

Die Telefonleitungen nach Serbien sind – wohl kriegsbedingt – ständig besetzt, ich kann Cane nicht einfach in Zrenjanin anrufen und fragen: Spielst du da? Dafür meldet BBC, daß nach der Zerstörung der Brücke in Novi Sad der gesamte Verkehr über die Stadt umgeleitet wird, in der er wohnt. Könnte der Lärm der Automobile zusammen mit der Angst vor Nato-Bomben auch aus Cane einen dieser ganz neuen Serben gemacht haben? Kurz vor Redaktionsschluß kommt die erlösende E-Mail aus Belgrad. Darka, bis vor der Gleichschaltung vor zwei Wochen Mitarbeiterin von Radio B 92, schreibt: „Ich gehöre zu der kleinen, urbanen Minderheit, die noch hier ist und die diese ganze Sache anekelt. Am ersten Tag war das Konzert o. k., die Bands spielten ganz allgemein gegen den Krieg, aber schon am Tag darauf kamen die Volksmusiker auf die Bühne. Seitdem sind sogar Miloevic-Porträts im Publikum aufgetaucht. Ich gehe da nicht mehr hin.“ Von Cane weiß Darka, daß er nur einmal gespielt hat; mehr Infos gibt es über unseren Freund Rambo Amadeus. Der witzigste, lauteste, verrückteste Vertreter des jugoslawischen Undergrounds, der erste serbische Musiker, der 1997 nach dem Krieg wieder in Bosnien gespielt hatte, stand am ersten Tag auf der Bühne am Platz der Republik. Und roch wohl sofort Lunte. Rambo, der sich seit den späten Achtzigern mit seiner balkanischen Fusion aus Funk, Rap und Jazz auch außerhalb Jugoslawiens einen Namen gemacht hat, hatte 1992 eine „technische Störung“ im staatlichen serbischen Fernsehens verursacht. In der Mitte einer Live-Übertragung beschimpfte er von der Bühne aus das Publikum, fragte die Leute, wie sie so einfach Musik hören und Bier trinken könnten, während ihre Armee die Menschen in der bosnischen Hauptstadt beschießt. Ein Testbild wurde eingeblendet.

Diesmal ist er einfach wortlos nach einer halben Stunde von der Bühne gestiegen und gegangen – das Fernsehen war noch nicht da. Der Belgrader Underground hat das erste Konzert auf dem Platz der Republik organisiert. Gespielt haben andere.

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