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Schwere Zeiten für Tony Blairs Kritiker

■ Mit drakonischen Maßnahmen basteln sich der britische Premier und seine Crew die Labour Party zurecht. Widerspruch unerwünscht

London (taz) – Widerspruch wird nicht mehr länger geduldet, in der britischen Labour Party sind nur noch Jasager erwünscht.

Seit seinem Amtsantritt vor zwei Jahren hat Premierminister Tony Blair die Partei immer mehr unter seine Kontrolle gebracht.

Wer ausschert, wird geächtet, zuletzt die nicht sehr zahlreichen Labour-Kritiker des Nato-Angriffs auf Jugoslawien. „Wir sind uns alle einig“, beschwor Blair seine Hinterbänkler. „Die Antwort auf die Ereignisse ist die Verschärfung der Angriffe. Wir müssen da rein und Miloevic und seine mörderischen Gangster sehr, sehr hart treffen.“

Die „control freakery“, wie Kritiker es getauft haben, erstreckt sich auf alle Bereiche, mittelfristig soll die parteiinterne Kritik an Blair und seiner Führungsriege mit drakonischen Maßnahmen mundtot gemacht werden. Wer sich künftig öffentlich über die Auswahl der Labour-Wahlkandidaten beschwert, wird geschaßt. Damit will man eine Wiederholung der schädlichen Schlammschlacht zwischen den beiden Kandidaten für den Vorsitz der walisischen Versammlung bei den Wahlen im Mai verhindern. Rhodri Morgan, der von der Basis favorisiert wurde, unterlag Blairs Wunschkandidaten Alun Michael und warf ihm später Unregelmäßigkeiten bei der Wahl vor.

In Zukunft sind solche Vorwürfe nur für die Ohren der Labour-Führung bestimmt. Schließlich sei man aufgrund interner Streitigkeiten in den sechziger und siebziger Jahren nach einer Amtsperiode wieder abgewählt worden, meint Tony Blair. Sein Augenmerk nach seiner Wahl vor zwei Jahren galt denn zuerst auch der Parteidisziplin. Bei der Auswahl der Wahlkandidaten werden die Rechte der lokalen Parteisektionen immer mehr beschnitten, um „Blairisten“ ins Rennen schicken zu können.

Bei den Wahlen zum Parteivorstand ist das nicht ganz so einfach, 1997 gab es für Blair einen Rückschlag, als sein engster Vertrauter Peter Mandelson dem „roten Ken“ Livingstone unterlag.

Auch im vorigen Jahr konnte die linke „Grassroots Alliance“ mehrere Kandidaten gegen Blairs Liste „Members First“ durchsetzen. In diesem Jahr hat man die Wahlen zum Parteivorstand deshalb auf Mai vorverlegt, damit sie nicht die „Saure-Gurken- Zeit“ im Sommer dominieren und zeitlich möglichst weit entfernt vom Parteitag im Oktober liegen.

Der „Kontrollwahn“ hat das Unterhaus immer mehr zu einer Theaterbühne gemacht.

Früher sind die Abgeordneten aufgesprungen und haben dem Premierminister Zwischenfragen gestellt, heute ist alles vorbereitet – die Fragen und die Antworten, Abgeordnete und Minister lesen sie vom Blatt ab.

Bisher war das verpönt.

Aufgrund der vorbereiteten Minireden dauert heutzutage alles länger, der Parlamentsberichterstatter Matthew Parris hat mitgezählt: Blair und sein Kabinett schaffen im Durchschnitt gerade mal zwölf Fragen in der Stunde, vor 15 Jahren waren es anderthalbmal so viele. Geschwafel nimmt eben mehr Zeit in Anspruch als Inhalte, konstatierte Parris. Martin Bell, der parteilose Abgeordnete aus Tatton, fragte Premierminister Tony Blair vorigen Monat, ob er seinen Abgeordneten nicht „mehr Freiheiten zugestehen könnte, damit sie sagen dürfen, was sie denken, und nach ihrem Gewissen abstimmen dürfen“. Martin Bell wünschte sich ein „Parlament freier Menschen, statt eine Versammlung von Kopfnikkern“.

Tony Blair gab sich in seiner Antwort gar keine Mühe, den Anschein zu erwecken, als ob alles nach streng demokratischen Spielregeln ablaufe und die Abgeordneten irgendwelche Entscheidungsfreiheit hätten.

Eine Regierung mit einem Programm und einer Mehrheit habe das Recht, so sagte der Premierminister, ihre Geschäfte durchzuziehen.“ Ralf Sotscheck

„Control freakery“: So nennen die Kritiker den Druck, der alle Bereiche der Partei dem Willen der Führung unterwerfen soll

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