: Bayern hat einen neuen Fall „Mehmet“
Wieder soll ein straffälliger Jugendlicher in die Türkei abgeschoben werden. Grüne und Ausländerbeiräte protestieren. Grüner Landesvorsitzender: „Das ist keine Ausweisung, sondern Deportation“ ■ Aus Augsburg Klaus Wittmann
Ein neuer Fall „Mehmet“ beschäftigt die bayerischen Gerichte und die „Arbeitsgemeinschaft der Ausländerbeiräte Bayerns“. Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof bestätigte eine Entscheidung des Verwaltungsgerichts Augsburg, derzufolge ein 16jähriger türkischer Jugendlicher abgeschoben werden darf. Der in Rinteln bei Hannover geborene Junge war 1985 nach Augsburg gezogen und angeblich bereits mit elf Jahren zum ersten Mal straffällig geworden.
Der Augsburger Ordnungsreferent Willi Reisser (CSU) berichtet, der Jugendliche hätte seine MitschülerInnen brutal verprügelt. „Aus Angst vor ihm und seiner Aggression verließen die anderen Schüler die Klasse, wenn er den Raum betrat.“ Im Herbst 1997 sei er wegen räuberischer Erpressung, schweren Raubes, vorsätzlicher Körperverletzung und Diebstahls zu einer dreijährigen Jugendhaftstrafe verurteilt worden. An Weihnachten 1998 sei er nach Verbüßung der Hälfte der Haftstrafe auf Bewährung freigekommen, aber gleich wieder ins Visier der Ermittler geraten, diesmal wegen Drogenhandels.
Er verkenne nicht die Problematik der Abschiebung, erklärt der Ordnungsreferent, aber man werde sich unverzüglich nach Festlegung des Flugtermins an die türkischen Behörden wenden. Der 16jährige würde dann von den türkischen Behörden in Empfang genommen, „so daß sichergestellt ist, daß er zu Verwandten kommt, sofern die ihn aufnehmen wollen, oder in ein Heim“. Der inzwischen geschiedenen Mutter sei es auch zuzumuten, ihren minderjährigen Sohn in die Türkei zu begleiten oder „zumindest für ausreichend Geldmittel zu sorgen, damit er nicht auf der Straße steht“.
Eine gewisse abschreckende Wirkung sei, ähnlich wie im Münchner Fall „Mehmet“, durchaus gewollt. Außerdem sei die Abschiebung vom Gesetz her zwingend vorgeschrieben, nachdem alle Integrationsbemühungen gescheitert seien. Bereits ab der 5. Klasse habe sich die Sozialverwaltung mit dem türkischen Jungen auseinandergesetzt, doch weder er noch seine Eltern seien kooperativ gewesen.
Die „Arbeitsgemeinschaft der Ausländerbeiräte Bayerns“ hat aufs schärfste gegen diese erneute Ausweisung protestiert. „Ich will an diesem Fall nichts beschönigen“, erklärt der 2. Vorsitzende des Augsburger Ausländerbeirats, Hüseyin Yalcin. „Aber der Junge ist hier in Deutschland straffällig geworden und muß daher auch hier bestraft werden.“ Er habe der Familie geraten, gegen die Münchner Entscheidung in Revision vor dem Bundesverwaltungsgericht zu gehen.
Heftig kritisiert auch der Landesvorsitzende der bayerischen Grünen, der Rechtsanwalt Jerzy Montag, die neuerliche Abschiebung. „In Deutschland geborene Jugendliche müssen, auch wenn sie die deutsche Staatsangehörigkeit nicht haben, in Deutschland bestraft werden, wenn sie hier Straftaten begehen.“ Sie dürften aber nicht deportiert werden, und „eine Abschiebung in ein Land, das überhaupt nicht mehr ihre Heimat ist, ist keine Ausweisung, sondern eine Deportation“.
In der Augsburger Justizvollzugsanstalt sitzt derweil ein weiterer 16jähriger Jugendlicher, gegen den ebenfalls bereits eine Ausweisungsverfügung vorliegt.
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