: Karriere, Pension, Prozeß
■ Turiner Militärgericht klagt ehemaligen SS-Mann Saevecke an
Freiburg (taz) – Vor dem Turiner Militärgericht wird derzeit dem ehemaligen SS- Hauptsturmführer Theo Saevecke der Prozeß gemacht. Der frühere Chef der Sicherheitspolizei in Mailand wird beschuldigt, an einer besonders grausamen öffentlichen Erschießung von 15 politischen Gefangenen am 10. August 1944 auf dem Mailänder Loretoplatz beteiligt gewesen zu sein.
Der heute 88jährige Saevecke hat nach dem Krieg eine steile Karriere gemacht. Zunächst arbeitete er in der Frontstadt Berlin als CIA- Berater. Ab 1952 war er in der Sicherungsgruppe Bonn beim Bundeskriminalamt tätig. Hier diente der stramme Antikommunist als Chefermittler für politische Prozesse vor dem Bundesgerichtshof, leitete 1961 die Beschlagnahmeaktion gegen den Spiegel und wurde 1971 als Regierungskriminalrat pensioniert. Saevecke hat bis heute zwei disziplinarische und vier strafrechtliche Ermittlungsverfahren unbeschadet überstanden.
Im Turiner Prozeß, zu dem Saevecke von seinem Wohnort Bad Rothenfelde bei Osnabrück nicht angereist ist, wird Staatsanwalt Pier Paolo Rivello die Höchststrafe – lebenslänglich – fordern. Saevecke soll zu der Erschießung angestiftet, die Opfer in dem ihm unterstellten Gefängnis ausgesucht und den formellen Befehl erwirkt haben – als Rache dafür, daß zwei Tage zuvor eine Bombe einen deutschen Lkw beschädigt und neun italienische Passanten getötet hatte.
Die beiden zeitgeschichtlichen Sachverständigen des Gerichts, Luigi Borgomaneri aus Mailand und Carlo Gentile aus Köln, haben zwei bisher von Saevecke immer wieder vorgebrachte Entlastungsgründe zurückgewiesen: Die Erschießung sei eine vom Kriegsrecht gedeckte Repressalie wegen der vorausgegangenen Tötung zweier deutscher Soldaten gewesen. Und nur ein Wehrmachtsoffizier im Generalsrang habe damals eine Geiselerschießung anordnen dürfen, nicht aber ein SS-Hauptsturmführer. Gentile führte dagegen zahlreiche vergleichbare Fälle aus dem besetzten Italien an, in denen auch mittlere Chargen Erschießungen befahlen; der Entscheidungsspielraum der SS-, Polizei- und Wehrmachtsoffiziere in Italien sei nur wenig durch Befehle der Generalität eingeengt gewesen. Die zwei angeblich zuvor getöteten deutschen Soldaten haben beide Historiker ins Reich der Erfindung verwiesen.
Außer der Geiselerschießung in Mailand beschuldigt die Turiner Staatsanwaltschaft Saevecke auch der Beteiligung an einem weiteren Mordfall und hat neue Ermittlungen aufgenommen. Grundlage dafür ist ein mittlerweile freigegebener Bericht britischer Geheimdienstoffiziere, die Saevecke im Sommer 1945 befragt hatten.
Demnach war am 20. Juli 1944 bei dem außerhalb Mailands gelegenen Dorf Robecco ein Sicherheitspolizist von Partisanen erschossen worden. Chef Saevecke, so der Bericht, rückte am Nachmittag mit einigen SS-Leuten aus und ließ sofort drei junge Männer erschießen, die er zufällig in der Nähe des Tatorts antraf. Am folgenden Tag suchte er das Dorf erneut auf, zusammen mit seinem Vorgesetzten, dem SS-Standartenführer Walter Rauff, und 120 Mussolini-Legionären. Fünf Dorfbewohner wurden erschossen, ihre Anwesen niedergebrannt und 59 weitere in deutsche Konzentrationslager deportiert.
Die italienische Historikerin Prof. Liliana Picciotto Fargion vom Jüdischen Dokumentationszentrum in Mailand nahm den Prozeß zum Anlaß, Saevecke Mitschuld am Holocaust vorzuwerfen. Sie macht ihn mindestens für die ersten zwei Züge verantwortlich, die Mailand im Dezember 1943 und Januar 1944 in Richtung Auschwitz verließen und von deren etwa 700 Insassen nur wenige die Vernichtung überlebt haben. Das Urteil gegen Saevecke soll im Juni verkündet werden. Eggert Blum
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