: Es droht der Marsch auf Belgrad
■ „Kein Kampfeinsatz von Bodentruppen“, heißt es noch offiziell von der Nato-Führung. Doch das Bündnis hält die Szenarien für einen Truppeneinsatz schon bereit und bringt seine Soldaten bereits in Stellung. In letzter Konsequenz könnte das den Angriff auf Belgrad bedeuten – und eine Ausweitung des Krieges auf die gesamte Region.
„Unter keinen Umständen wird die Nato Bodentruppen einsetzen!“ Zu Anfang der Luftangriffe gegen Restjugoslawien am 24. März klang das Dementi der Allianz noch eindeutig, einstimmig und endgültig. Nach zweieinhalb Wochen weitgehend erfolgloser Bombardements ist von dieser geschlossenen Haltung nicht mehr viel übrig. Zu den vielen Stimmen, die den Einsatz von Bodentruppen inzwischen befürworten oder zumindest „nicht mehr ausschließen“, gesellte sich nach den Verteidigungsministern Kanadas und der Niederlande am Freitag auch der Vorsitzende des Nato-Militärausschusses, der deutsche General Klaus Naumann. Er habe „Zweifel“, daß Luftangriffe allein den Kosovo-Konflikt lösen können. Unter diesen Umständen würde es nicht überraschen, wenn auch Bundeskanzler Gerhard Schröder und Außenminister Joschka Fischer ihre gestern noch einmal bekräftigte Haltung, der Einsatz von Bodentruppen sei für sie „kein Thema“, noch vor der für Donnerstag geplanten Sondersitzung des Bundestages zum Kosovo- Krieg revidieren.
In der Nato wurden bislang drei Optionen für den Einsatz von Bodentruppen entworfen:
Szenario eins:
Die Nato entsendet 10.000 Soldaten in die Grenzgebiete zwischen Kosovo, Albanien und Mazedonien, wo sich das Gros der albanischen Flüchtlinge aufhält. Die Nato-Truppen würden strategische Schlüsselstellungen besetzen wie die Stadt Pec und das Pagarusha-Tal südwestlich von Pristina. Ein solcher Einsatz könnte die Entsendung einer internationalen Sicherheitstruppe vorbereiten, die die Rückführung der Flüchtlinge überwachen soll. Gleichzeitig müßten sich die serbischen Armee- und Polizeieinheiten sowie die paramilitärischen Verbände aus der Provinz zurückziehen. Das Risiko für dieses Szenario gilt als verhältnismäßig geringer als für
Szenario zwei:
Danach würde die Nato mit rund 30.000 Soldaten und unterstützt von massiven Luftangriffen den südwestlichen Teil des Kosovo besetzen – etwa die Hälfte der Provinz – und ein Protektorat einrichten, dessen Grenze bei Pristina verlaufen würde (das entspräche in etwa den in Belgrad kursierenden Plänen für eine Teilung des Kosovo in einen nördlichen serbischen und einen südlichen albanischen Teil). Außerdem würde die Nato demnach die Eisenbahnlinie zwischen Pristina und Skopje kontrollieren.
Szenario drei:
Mindestens 100.000 Nato-Soldaten besetzen mit starker Luft- und Artillerieunterstützung den gesamten Kosovo. Der Einmarsch würde von Albanien und Mazedonien aus erfolgen. Dieses Szenario gilt in der Nato-Zentrale als das gefährlichste.
Ein Teil der Soldaten und Waffen, die die Nato für diese drei Szenarien einsetzen würde, ist bereits in der Region: Die bislang offiziell mit 12.000 Mann angegebene Nato-Truppe in Mazedonien als erster Teil der insgesamt 28.000 Mann starken Truppe zur Umsetzung eines Kosovo-Autonomieabkommens; US-amerikanische, britische und französische Kontingente der SFOR in Bosnien-Herzegowina sowie rund 5.000 US- Marines auf Kriegsschiffen in der Adria. Einige Nato-Staaten haben in den letzten Tagen ohne öffentliche Aufmerksamkeit massiv ihre militärische Präsenz in der Region verstärkt. Unter anderem flogen die Briten ihre 3. Luftlandebrigade von Deutschland nach Mazedonien sowie ihre erste Panzerdivision nach Bosnien.
Alle bislang von der Nato diskutierten Szenarien für eine Intervention mit Bodentruppen beschränken sich auf den Kosovo. Die Allianz hat dabei aber die Rechnung ohne den Wirt gemacht. Im bisherigen Kriegsverlauf hat Slobodan Milosevic weitgehend das Geschehen und der Nato das Handeln diktiert. Und es gibt keinen Grund zur Annahme, daß sich dieses ändern wird. Wenn die Nato Bodentruppen in das Kosovo schickt, kann Milosevic durch eine regionale Eskalation des Konflikts die Nato zwingen, ihren Bodentruppeneinsatz über das Kosovo hinaus auszuweiten. Zum Beispiel könnte Milosevic schwere Unruhen, gar einen Bürgerkrieg in Montenegro provozieren und dort ein gewaltiges zusätzliches Flüchtlingsproblem schaffen. Dann sähe sich die Nato wieder zum Eingreifen gezwungen. In einer nächsten Stufe könnte Milosevic die Spannungen in der Vojvodina mit ihrer großen ungarischen Bevölkerungsgruppe eskalieren. Damit wäre der Nato-Staat Ungarn direkt betroffen. Nach Ansicht von Ottfried Nassauer, Direktor des Berliner Instituts für transatlantische Sicherheit (BITS) „hat Milosevic bislang sehr erfolgreich nach dem Motto agiert: entscheidend ist, wer die Initiative hat und behält und so die andere Seite zur Reaktion zwingen kann. Und er wird das auch weiter versuchen.“ Nach dem Scheitern eines auf den Kosovo begrenzten Einsatzes mit Bodentruppen wird die Nato – zumal wenn sie bei den zentralen Forderungen des Rambouillet-Abkommens bleibt – nach Nassauers Analyse schließlich nur noch die einzige Option haben, Milosevic zur „völligen Kapitulation zu zwingen“. Dafür aber brauche sie „150.000 Kampfsoldaten und muß in letzter Konsequenz Belgrad erobern“. Andreas Zumach,Genf
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