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Konkurs der Meinungen

Der Krieg im Kosovo hat Schriftsteller, Intellektuelle und Kulturtheoretiker in zwei Lager geteilt. Seither werden Aufrufe zum Nato-Einsatz verfaßt und Bedenken dagegen getragen. Anstelle von geopolitischer Kompetenz beherrscht Ratlosigkeit den Diskurs  ■   Von Harry Nutt

Sie schweigen und sie reden zuviel, in Zeiten des Krieges allemal. Schriftsteller, Künstler und Intellektuelle, ansonsten gewohnt, auf Nachfrage oder unaufgefordert ihre Orientierungsmarken auf die Karte gesellschaftlicher Problemzonen zu setzen, vermögen angesichts der Bomben auf Belgrad und der Flüchtlingsströme im Kosovo kaum mehr auszudrücken als ihre Orientierungslosigkeit. Eine praktische Übersicht dazu hat kürzlich Die Woche zusammengestellt. Das hohe Dichteraufkommen während der Leipziger Buchmesse nutzte sie zu Umfragen und erntete prompt besorgtes Stammeln. Man sei gegen den Krieg, bekräftigte der Vorsitzende des Schriftstellerverbands (VS), Fred Breinersdorfer, „sieht jedoch, es gibt keinen Ausweg. Deswegen muß man den Krieg bejahen. Und das tut richtig weh.“ Andere hatten die Schmerzen schon verwunden und fanden bereits die Muße zu feingesponnener Aphoristik. „Als Autor ist man wesentlich dafür verantwortlich“, so Burkhard Spinnen, „daß richtig gesprochen wird, nicht daß das Richtige gesprochen wird.“ Sind so viele Mikrophone.

Immerhin waren einige klug genug, sich derlei Geistesblitze zu verkneifen. Diese fühlten sich, so rügte Die Woche die Auskunftsverweigerung, nicht kompetent. Dieser auffällige Mangel an weltpolitischem Einschätzungsvermögen gilt hinsichtlich der Ökonomie der Aufmerksamkeit nicht als triftiger Grund zur Stimmenthaltung. Inzwischen wissen wir von Wolfgang Niedeckens Abschied von seinen einstigen pazifistischen Idealen und von Christa Wolfs Gefühlen für die Menschen in der Kriegsregion. „Ich fühle stark, ihnen helfen die Bomben nicht, so groß meine Abscheu gegen die serbische Soldateska ist, die die Menschen auf Befehl und mit kalter Berechnung verfolgt und vertreibt.“ Stellvertretend für viele mißtraut Christa Wolf auch den hiesigen Medien. Die Sprache der Kriegsberichterstatter weckt bei ihr den Verdacht, „daß wir manipuliert werden“.

Die Befürchtung, vor Sinnentstellungen der gefräßigen Medien nicht sicher zu sein, muß den griechischen Filmregisseur Theo Angelopoulos schließlich auch zur Vorsicht gemahnt haben. Ein der Frankfurter Rundschau bereits zugesagtes Interview widerief er kurzerhand, um dem wartenden Korrespondenten statt dessen ein vorgefertigtes Statement zu übermitteln. Grundsätzlich, so die Botschaft, habe er schon immer auf der Seite derer gestanden, die einer Kriegsmaschinerie preisgegeben werden. Das war gut gegeben, denn zur Opferrolle taugen diesmal die Serben und die Kosovaren, wenngleich sie auch von unterschiedlichen Kriegstechniken bedroht werden.

Während sich die wiedervereinigte Schriftstellerorganisation des deutschen PEN nicht zu einer gemeinsamen Erklärung entschließen konnte, haben französische Intellektuelle alternative Listen ausgelegt. Dort kann man sich auf der Unterschriftenliste des „Collectif NON à la Guerre“ verewigen oder sich dem „Comité Kosovo“ um Alain Finkielkraut und Bernard-Henri Lévy anschließen, das Staatspräsident Chirac zur Fortsetzung der Angriffe auf Jugoslawien auffordert. Die Schwierigkeit, zu einer Meinung zu gelangen, hemmt keineswegs den Bekenntnisdrang.

Eine fortgesetzte Dokumentation intellektueller Harmlosigkeit erübrigt sich an dieser Stelle. Es lohnt statt dessen eine Sichtung der Bestände. Vor sieben Jahren herrschte schon einmal Krieg in Jugoslawien, der die westliche Intelligenzija bei ihrer Befindlichkeitspflege überraschte. Die taz hatte sich im Herbst 1992 an osteuropäische Schriftsteller, Philosophen und Wissenschaftler gewandt und sie gebeten, dem Westen die Lage nach Auflösung der Blöcke zu erläutern. „Ratlosigkeit“, „Desorientierung“ und der „Mangel an Information“, so lauteten schon damals die am häufigsten verwandten Floskeln zum Krieg, der, wie viele mit sicherem kosmopolitischem Raumgefühl bemerkten, „nur zwei Flugstunden“ entfernt sei.

In der Zwischenzeit aber scheint die Weiterbildung in Sachen Balkankunde nur unzureichend genutzt worden zu sein. Der Publizist Willi Winkler, der die Artikelserie „Europa im Krieg“ initiierte, die später unter gleichem Namen als Buch (edition suhrkamp) veröffentlicht wurde, war hinsichtlich der Erfolgsaussichten seines Projekts schon damals skeptisch. Im Vorwort zur Buchausgabe, die Beiträge von Milovan Djilas, György Konrád, Agnes Heller, Dunja Melcic, Aleksandar Tisma, Paul Parin, Hans Magnus Enzensberger u.a. enthält, schreibt Winkler: „Für berufsmäßige Bedenkenträger ist die Welt ein wenig komplizierter geworden. Mögen sie ruhig weiter ihrer Sorge Ausdruck verleihen und es dann bei Resolutionen bewenden lassen. Es fehlt in Deutschland, in Westeuropa überhaupt, an Verständnis für das, was sich in Ost- und Südeuropa ereignet. Und es genügt nicht, Dunja Raiter auf dem Münchner Marienplatz Zigeunerlieder singen zu lassen und anschließend Spenden zu sammeln. Geld haben wir genug, es bedürfte, wie immer, der Aufklärung.“

Es scheint, daß es um die Pathosformel Aufklärung auch weiterhin nicht zum besten bestellt ist. Allzuoft hat aufklärerische Rede das Bedürfnis nach moralischer Selbstvergewisserung zu bedienen. Deshalb hören wir derzeit so viele Bekenntnisse des guten Willens und der allgemeinen Besorgnis. Woran es mit Blick auf den Kosovo-Krieg aber am stärksten mangelt, ist eine Art geopolitischer Kompetenz. Tatsächlich wäre dem allseits beklagten Informationsmangel mit einigen der Beiträge zur Serie „Europa im Krieg“ beizukommen gewesen.

In seinen „Gedanken eines entsetzten Zuschauers“ gibt der 1916 in Slowenien geborene, heute in Zürich lebende Psychoanalytiker Paul Parin ein präzises Bild der jugoslawischen Misere, in dem die Konturen eines bevorstehenden Kosovo-Konflikts bereits deutlich zum Vorschein kommen. Parin war freilich weniger ein Prophet als ein Kenner der politischen Verhältnisse. Wo eine politische Lesart der jeweiligen Situation vonnöten gewesen wäre, konstatiert Parin auf europäischer Seite stets die diffuse Wahrnehmung von „Balkanwirren“. Auch die Linke, so Parin, schenkte dem Ringen von europäisch-fortschrittlichen mit asiatisch-diktatorischen Kräften in Jugoslawien keinerlei Aufmerksamkeit. In seiner nüchternen Beschreibung geht es Parin um die Genese des politischen Konflikts in Jugoslawien, der nicht zuletzt durch die westeuropäische Sichtweise ethnisiert worden ist. Das Durcheinander auf dem Balkan ist auch das Produkt einer Jahrhunderte alten europäischen Ignoranz. „Heute hofft Mitteleuropa auf eine Zivilgesellschaft, die es nie unterstützt hat.“ Der Balkan war zu keiner Zeit ein Gegenstand der Aufmerksamkeit der westlichen Intelligenz.

Ein klares Bild konnte man unterdessen schon damals von Slobodan Miloevic gewinnen, den der serbische Schriftsteller und Filmemacher Mirko Kovac in der taz-Serie als „letzten Despoten“ beschrieb. Gerüchte über eine stärker werdende Opposition und einen möglichen Sturz Miloevic' gab es schon Anfang der 90er Jahre. „Sollte Miloevic wirklich wanken“, schrieb Kovac am 11. 9. 1992, „so wird er zufrieden fallen, denn sein Wunsch, einen Krieg vom Zaun zu brechen, ist erfüllt, wenn er auch höhere Ambitionen hatte. Er als Antieuropäer wollte, daß sich Europa Jugoslawiens wegen zerstritt. Insgeheim sehnte er einen Weltkrieg herbei, aber eine Serie von Balkankriegen wäre ihm auch recht gewesen. (...) Ich glaube nicht, daß er jetzt abtreten wird, wo es ihm am besten geht. Ein Mensch, der sich am Tod berauscht, wird niemals vom Tod genug bekommen.“

Um Eingang in die politische Praxis zu finden, war dieses Psychogramm eines solitären Machthabers vielleicht zu literarisch geraten. Möglicherweise fehlt den Politikern, die seit vielen Jahren mit Miloevic am Verhandlungstisch gesessen haben, auch ein hinreichendes Bild der Funktionseliten, die Miloevic umgeben. Die Zeit des Krieges ist die Zeit der Spekulationen und die Zeit paranoider Konstruktionen. Der Verdacht beherrscht noch das beiläufige Gespräch über die Zeitläufte. An dessen Stelle hätte vielfältiges Wissen zu treten. Paul Parin beklagte kürzlich im Interview mit dem Tagesspiegel das Fehlen einer politischen Psychoanalyse oder einer Psychoanalyse der Politik. Das alles und noch viel mehr könnte Sache der intellektuellen Funktion sein. Sie besteht jedenfalls kaum noch in priesterhaften Gebetsformeln der Allgemeinzuständigkeit. Wenn sie weiterhin eine gewisse Penetranz auszeichnet, dann bitte die, daß sie den politischen, wirtschaftlichen und militärischen Eliten neben ihrer moralischen Kompetenz nicht zuletzt vernachlässigtes Wissen aufdrängen.

Zu oft hat aufklärerische Rede über den Krieg das Bedürfnis nach moralischer Selbstvergewisserung zu bedienen

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