piwik no script img

Schlingensief fährt mit dem Taxi nach Makedonien und tut Buße für die Politik

Auch Christoph Schlingensief ist in den Krieg gezogen. Am Sonntag ist er nach Thessaloniki geflogen und von dort mit einem Taxi nach Skopje gefahren. Die Berliner Volksbühne setzte einen Diskussionsabend an, und nach einem Geplänkel darüber, ob die Nato, Milošović oder das Völkerrecht schuld an dem Krieg im Kosovo seien, klingelte um halb zehn auf der Bühne tatsächlich das Telefon. „Der Geist kommt“, hieß die Regieanweisung dazu bei Shakespeares „Hamlet“, an diesem Abend hieß der Geist Christoph und kam „live aus Makedonien“.

Schlingensief redet einfach drauflos: Man bekomme hier viele Sachen mit, so stehen auf jeder Brücke Soldaten. Das Hotel sei ausgebucht, am nächsten Tag wolle er aber auf jeden Fall zum Botschafter gehen und sagen, daß er von der Volksbühne käme, dann vielleicht weiter in Richtung Grenze fahren, zu den Flüchtlingslagern. Seine Reise, erklärte Schlingensief noch, verstehe er als Ausdruck von „Bürgerbewegung“: „Widerstand dadurch aufbauen, daß man mobil wird.“ Verbindung unterbrochen. Bei Shakespeare hieß das: „Geist ab“. Schlingensief hatte seinen Auftritt, und genau wie der tote König in „Hamlet“ hat er es geschafft, daß alle auf Schloß Deutschland ein schlechtes Gewissen bekommen. Während man Fernsehen guckt und alles glaubt, was über den Krieg gesagt wird, nimmt Schlingensief sich einfach ein Taxi.

Im Grunde genommen hat er das schon oft gemacht. In seinem Film „100 Jahre Adolf Hitler“ war er im Führerbunker, in „Das deutsche Kettensägenmassaker“ an der deutsch-deutschen Grenze. Er badete mit Arbeitslosen am österreichischen Urlaubsort des deutschen Ex- Kanzlers im Wolfgangsee, machte bei der Bundestagswahl mit und bezog zuletzt mit der „Berliner Republik“ die Kanzlervilla: Christoph Schlingensief leidet für Deutschland.

Und jetzt ist er eben auch im Kosovo, um „Buße zu tun für das Versagen der Politik“. Er wird vermutlich Videobilder mitbringen, die nicht anders aussehen als die NTV-Bilder, und sie bei einer der nächsten Vorführungen der „Berliner Republik“ wie Wundmale vorzeigen. Dann können alle Buße tun. Vielleicht ist Christoph Schlingensief der Messias der Gelehrtenrepublik. Immer wieder nagelt er sich selbst ans Kreuz. Und alle sollen dabei zusehen.Kolja Mensing

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen