piwik no script img

UNHCR: „Vertriebene sitzen in der Falle“

■ Hunderttausende im Kosovo auf der Flucht. PDS-Politiker Gysi in Belgrad

Serbische Einheiten haben am frühen Dienstagmorgen erneut rund 4.800 Kosovo-Albaner über die Grenze nach Albanien getrieben. Im makedonischen Blace kamen weitere 440 Vertriebene an. Wie das UN-Flüchtlingshilfswerk (UNHCR) berichtete, spielten sich auf der jugoslawischen Seite der Grenze dramatische Szenen ab. Die Vertriebenen berichteten, die Serben hätten eine junge Frau zwingen wollen, mit ihnen zu gehen. Als diese sich auf einen Lastwagen retten wollte, habe man sie erschossen. Innerhalb des Kosovo seien immer noch Hunderttausende auf der Flucht, sagte UNHCR-Sprecher Kris Janowski. „Wir gehen davon aus, daß sie dort in der Falle sitzen.“

Unter den Neuankömmlingen am Grenzübergang Morina gehörten auch 300 Menschen zu dem bislang verschollenen Flüchtlingstreck, den die jugoslawische Armee in der vergangenen Woche vor der makedonischen Grenze aufgehalten und zur Umkehr gezwungen hatte. Die Bewohner des Dorfes Zrze in der Nähe von Orahovac berichteten, sie seien zur Rückkehr in ihr zerstörtes Dorf gezwungen und dort eine Woche lang gefangengehalten worden. Sie schätzen, daß etwa 75 Dorfbewohner im Feuer umkamen, als die Serben ihre Häuser anzündeten. Nach ihrer erwungenen Rückkehr nach Zrze hätten Heckenschützen die Ortschaft umstellt. Am Montag habe man ihnen alle Habseligkeiten abgenommen und sie zur Grenze getrieben.

Der weißrussische Präsident Alexander Lukaschenko will heute Mittwoch nach Belgrad reisen. Das meldete die Nachrichtenagentur Interfax aus Minsk. Das jugoslawische Parlament hatte sich am Montag für den Beitritt zur Union zwischen Rußland und Weißrußland ausgesprochen. Über mögliche Gesprächspartner Lukaschenkos während des vermutlich zweitägigen Besuchs wurden zunächst keine Angaben gemacht. Lukaschenko hatte sich positiv über eine Aufnahme Jugoslawiens in die Union geäußert. Rußland erachtet vor einer solchen Entscheidung noch umfangreiche Prüfungen für notwendig.

Bundesaußenminister Fischer ist gestern an der Spitze einer EU-Troika zu Gesprächen mit der ukrainischen Führung in Kiew eingetroffen. Dabei ging es um die Frage, welche Rolle die Ukraine für eine Beendigung des Krieges spielen könnte. Fischer sagte vor Journalisten, eine Kosovo-Friedenstruppe müsse nicht unbedingt von der Nato geführt werden. Der Form dürfe nicht zuviel Bedeutung beigemessen werden. Fischer drängte die Ukraine, sich an Vermittlungsbemühen zu beteiligen. Die Ukraine hat die Nato-Luftangriffe zwar kritisiert, aber die Beziehung zum westlichen Bündnis nicht abgebrochen.

Unterdessen ist Gregor Gysi, Fraktionschef der PDS im Bundestag, gestern zu politischen Gesprächen in „friedensstiftender Mission“ nach Belgrad abgereist. Gysi ist der erste deutsche Politiker, der nach Beginn des Nato-Einsatzes mit der serbischen Führung zusammentrifft. Geplant waren Gespräche mit dem jugoslawischen Ministerpräsidenten Bulatovic und Außenminister Jovanovic. „Gysi würde auch mit Staatschef Miloevic sprechen, wenn dieser das wollte“, sagte Fraktionssprecher Jürgen Reents zur taz. Miloevic hatte vor rund einem Monat ein Zusammentreffen mit Gysi abgelehnt. Außerdem, so Reents, seien Gespräche des PDS-Fraktionschefs mit Nichtregierungsvertretern geplant. Gysi will bei seinen Begegnungen einen Fünf-Punkte-Plan der PDS für eine friedliche Lösung der Kosovo-Krise vorstellen, den er mit Parteichef Lothar Bisky ausgearbeitet hat. Darin werden sowohl die Nato als auch Jugoslawien zu einem Verzicht auf militärische Gewalt aufgefordert und Friedensverhandlungen unter Führung von UN-Generalsekretär Kofi Annan vorgeschlagen. Das Auswärtige Amt erklärte, Gysi habe Außenminister Fischer vorab informiert. Inhaltliche Absprachen gebe es nicht. AP/dpa/JK

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen