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Was fehlt ist der Kunstrasen

■ Sechs junge Bremer Werbe- und Multimediaagenturen und neun nicht mehr ganz so junge Mode- und Schmuckdesignerinnen treffen sich für drei Wochen im Wagenfeld-Haus

Erster Stock, hinten, links hängt das Plakat, für das allein sich schon ein Besuch im Wagenfeldhaus lohnt. Darauf steht karg und einsam: „Arbeit ist das halbe Leben.“ Die Schrift aber säuft ab in lähmend weißer Leere. Vom „Leben“ halten sich nur noch die Hälse der Buchstaben L und b überwasser: von wegen die Hälfte. Ein meisterliches Beispiel dafür, wie Gestaltung in Bedeutung umschlägt. Dies anrührende, löbliche Lebensbekenntnis (es wurde entwickelt für eine Gewerkschaftsausstellung zum Thema Arbeitslosigkeit) stammt von einer Gestaltagentur, die aus drei Leuten besteht und deshalb „form 5“ heißt. Wieviele Menschen bei „Vierplus“ oder „Büro 7“ arbeiten wissen wir nicht. Klar ist immerhin soviel, daß konzeptionell klingende Agenturtitel mega-in sind. Die Mitglieder von „form 5“ leben verstreut in Bremen, Düsseldorf und Regensburg: Vorbote einer vernetzten Zukunft, in der Arbeitsgemeinschaften über Distanzen funktionieren und der Terror der „Mobilität“ aufhört.

Unter dem schönen, doppeldeutigen Ausstellungstitel „bremer gestalten“ findet man aber nicht nur neue Multimediatrends wieder, sondern auch Alt-Modisches. 14 der 18 Ausstellenden sind Frauen. „Die Quote ist mehr als erfüllt“, schalkt Hilbert vom „Design Zentrum Bremen“, welches – man muß es immer wieder sagen – nicht mit Kultur-, sondern mit Wirtschaftsgeldern gefüttert ist und deshalb niemals nie designkritischen Ansatz zeigen darf.

Wenn Feminismus so einfach wäre. Im ersten Stock gibt es Mode, Schmuck, Fotos, allesamt von Frauen, natürlich, im Multimediabereich dagegen dominieren die Herr-schaften. In Wirklichkeit ist die Arbeitsteilung nicht gar so schlimm, erzählen die beiden Männer von „prima propaganda“. Graphikdesign am Mac ist relativ paritätisch besetzt. Sobald es aber bei der Websidegestaltung ans Programmieren geht, streiken die Frauen.

Jede Agentur beziehungsweise jede EinzeltäterIn durfte selbst die Auswahl aus ihrem Oeuvre treffen. So leidet die Ausstellung am Gemischtwarenladensyndrom. Altbackenes trifft auf Plakate für die HipHop-Generation, Kunst auf schnöde Briefköpfe. 2xFotos und 1xPapiergestaltung hats auch. Da ist jene zwar professionelle, aber stinkunerhebliche nice-guy-beautiful-world-Werbung für die „AutoCard“ zu sehen, in der unser Willy Lemke freundlich allen BremerInnen zublinzelt. Und auch sonst wird hier einiges präsentiert, was ein paar Schritt weiter im Viertel in den Läden hängt: Ohrklips in Form von Osterglocken, Halsketten mit ostereierbunten Edelsteinen, aber auch schöner Schmuck oder diese schlichten Kerzenständer für jene komischen, unsympathischen Menschen, die für das Bewußtsein, daß das Ding aus echtem Sterlingsilber statt popeligem Edelstahl ist, locker mal 2000 Mark rausrücken. Lesen die keine Spendenaufrufe für den Kosovo? Für die gestalterische Absenz dieser Wertobjekte wurden wohl Begriffe wie „schnörkellos“ und „streng“ erfunden. Daß im Schmuckdesign andernorts längst mit Trash-Materialien (Kunstrasenschnipsel...) gespielt wird, davon ist hier nichts zu sehen. Die Schuhe- und Modedesignerinnen dagegen bemühen sich, den herrschenden Formenkanon mit eckigen Schuhabsätzen oder userinnen-unfreundlichen, viel Schnürarbeit fordernde Issey Myiake-artigen Stoffbahnenarrangements zu durchbrechen. Das meiste richtet sich an die reifere Dame. Nichts für die Technoparty. Toll ein Mantel von Lina Namuth und die Taschen von Cordula Kühn. Durch kluges Anbringen des Henkels braucht es hier keinen Verschlußschnalle. Zwar nur ein Gag, aber immerhin.

Weil Arbeit aber, wie uns „form 5“ bestätigt, viel weniger als das halbe Leben ist, zeigen die Agenturen kaum Frohnarbeit. Für die Bürgerparkstombola oder einen Kinderbetreuungsservice mußte „prima propaganda“ auftraggeberbedingt ihre Kreativität im Zaum halten. Dafür präsentieren sie die blumen- und rolandverzierten Papierprodukte für diese Kunden in der Ausstellung pfiffig auf der neusten Mac-Generation – unterlegt von spacigen Triphop, der auf ganze zwei Töne reduziert ist. In die Hose dagegen gegangen ist die Multimediapräsentation von „artundweise“. Wer sich nicht ordentlich Mühe gibt, wird niemals erfahren, was die eigentlich machen: Papierwerbung, CD-Roms oder Strumpfhosenhalter? Die blutjunge „Gruppe für Gestaltung“ erklärt dem Betrachter mittels schwer dozierenden Schaukästen wie das so ist mit der Welt und überhaupt. Die besteht nämlich aus vielen Farben, aus Tönen, ach ja, und aus Raum und Zeit – und das alles ist in Bewegung. Ja wirklich. Immerhin begeistert bei dieser Gruppe der Bastel-eifer und die Freude, mit allen möglichen Werkzeugen und Genres (Film, Ton, Foto, Schreinerhobel...) zu arbeiten. Der schon etwas reifere, weisere Mensch von „form 5“ kann das in schwitters-schnippseliger Alt-Dadaherrenart viel viel schöner sagen: Die Welt, das ist Leben, welches mithilfe von Katzenfutter aufgepäppelt wird zum Zwecke des Sterbens, mithin ein formloser Klumpen rohen Fleisches. „form 5“ ist groß. bk

Bis 8.Mai, Mi-So 10-17h, Di 10-21h

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