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Immer Prügel für die Unbotmäßigen

Was mache ich hier eigentlich, fragt sich unser ehemaliger Washington-Korrespondent, wenn er zwei Jahrzehnte der US-Interventionen Revue passieren läßt. Bin ich der globale Polizeireporter?  ■   Aus Charlottesville Martin Kilian

Ferien zu machen ist hochgefährlich. Desgleichen der Wunsch, mal auszuschlafen. Sich abends auf einer Party zu vergnügen ist mit hohem Risiko verbunden. Es könnte etwas Weltbewegendes verpaßt werden. Man berichtet schließlich über das globale Revier des Weltpolizisten, ist also nichts weiter als ein Polizeireporter. Und etwas passiert immer: eine amerikanische Invasion dort, ein Luftschlag hier, ein klandestines Ding, das publik wird. Weit hinter der Türkei wird ein aufmüpfiger Desperado abgestraft, in Lateinamerika ein Diktator entkorkt, in Afrika ein amerikanisches Kanonenboot gesichtet, wie es frei nach Joseph Conrad ziel- und planlos ins Herz der Finsternis ballert. Irgendwo sind die Vereinigten Staaten immer zugange, weshalb der Berichterstatter stets auf dem Posten zu sein hat.

Bill Clinton interveniert aus humanitären Impulsen („Ich fühle Ihren Schmerz“), aus nationalem Interesse, vielleicht ließ er sogar schießen, um von seiner drallen Praktikantin abzulenken. Bei Ronald Reagan ging es meistens noch um wichtige geostrategische Absichten, um Schläge gegen die vermeintlichen Marionetten des Reichs des Bösen und seiner farblosen Apparatschiks, die nie mit einer Pepsi-Dose in der Hand gesehen wurden und das Gegenteil von cool waren. Gegen sie und ihre Verbündeten wurde interveniert, was das Zeug hielt. In Grenada (1983) schlugen die Marines selbst zu und hoben die Landepiste aus, in Angola wurde Jonas Savimbi als Ronald Reagans Frankenstein auf sie losgelassen.

Im Libanon (1983) hingegen ging es um rein gar nichts; keiner wußte, was und warum, weshalb auch alles furchtbar endete und 250 Ledernacken für nichts starben. Libyen (1986) wurde wegen einer Disco in Berlin aus der Luft angegriffen, während in Zentralamerika das Recht auf Todesschwadronen und Privateigentum verteidigt wurde. Wäre nicht interveniert worden, hätte sich ganz Nicaragua nach Texas aufgemacht. Sagte Ronald Reagan. Das muß man sich bitte schön vorstellen: Ganz Nicaragua nach Texas!

Immer wieder hatte etwas zu geschehen, um die amerikanische Glaubwürdigkeit zu bewahren. Jede Drohung aus dem Mund eines US-Außenministers mußte wahrgemacht werden, da andernfalls die Weltmacht als Angeber dagestanden hätte. Noch immer verhält es sich so. Madeleine Albright beispielsweise droht zuviel. Niemand nahm ihre Fließband-Drohungen mehr ernst. Slobodan Miloevic lachte wahrscheinlich jedesmal hell auf und soff einen Slivowitz, wenn die neueste Drohung aus Washington über den Belgrader Ticker lief. Eine Supermacht, neben der sich das Römische Reich wie Liechtenstein ausnimmt, kann da nicht untätig bleiben. Glaubwürdigkeit ist alles, und gelegentliche Prügel für die Unbotmäßigen wirken erzieherisch.

Ebenso wichtig ist eine gruslige Schurkengalerie. Interventionen, Abstrafungen, Einmärsche und CIA-Aktionen erfordern robuste Feindbilder, vorzugsweise böse Männer mit durchgeknallten Psychen und mörderischen Augen unter buschigen Brauen. Im Libanon waren alle Schurken, die Christen und die Heiden. Was Grenada betraf, konnten Bernard und Phyllis Coard mühelos als eine karibische Version der Ceausescus verkauft werden. Daniel Ortega wurde als Commie-Playboy enttarnt, nachdem er bei einem Besuch der Vereinten Nationen in New York eine Gucci-Sonnenbrille erstand. Auch hatte er mörderische Augen unter buschigen Brauen. Über Oberst Gaddafi wurde getuschelt, er ticke nicht richtig. Außerdem war er aus Washingtoner Sicht stets miserabel gekleidet. Um eine Militärattacke zu rechtfertigen, genügte es, den Obersten im amerikanischen Fernsehen vorzuführen.Wer hätte im Anschluß daran nicht einem Bombenangriff zugestimmt?

Bei George Bushs Interventionen lagen die Dinge komplizierter; das Reich des Bösen war am Erlöschen, manch ein Apparatschik trat plötzlich mit einer Pepsi-Dose auf. Bush intervenierte zunächst einmal, um die Höhe seines Testosteronspiegels unter Beweis zu stellen. Panama (1990) geriet zum Macho-Test, weil der Präsident keinesfalls hinzunehmen gewillt war, daß sich ein mieser kleiner CIA- Informant plötzlich aufspielte und mit einer Machete herumfuchtelte. Manuel Noriegas Visage war wie bestellt für die Rechtfertigung eines amerikanischen Einmarschs: mörderische Augen, Narben, ein Gesicht wie eine Ananas. Er hatte zu gehen, damit amerikanische Glaubwürdigkeit gewahrt blieb, Panama Demokratie erhielt, der Drogenfluß durch Panama gestoppt wurde, der Kanal nicht in die falschen Hände fiel und George Bush seine Männlichkeit vorführen durfte.

Das waren die guten alten Zeiten, soweit es Interventionen anbelangt. Seitdem wurde – ein ominöses Zeichen! – zweimal interveniert, um Hitler zu besiegen. Saddam (1991) war Hitler, Slobodan (1999) ist ebenfalls Hitler. So jedenfalls wurden sie in Washington dargestellt, womit Stalin eben doch recht hatte: Die Hitlers kommen und gehen. Die Verhitlerung des Gegners ist die ultimate amerikanische Rechtfertigung zur Intervention. Wer verhitlert wird, kriegt unweigerlich Bomben und Marschflugkörper auf die Mütze. Weil die Hutus wegen ihrer Hautfarbe nicht verhitlert werden konnten, wurde in Ruanda (1994) nicht eingegriffen, obschon sich die Hutus wie echte Hitlers aufführten. Eine Million Tote in Afrika sind eben etwas anderes als zweitausend Tote im Kosovo.

Präsident Clinton hatte sich leider bereits vor dem Hutu- Blutrausch in Afrika die Finger verbrannt, als er Somalia (1993) zur Nation ausbauen wollte. Mohammed Farah Aidid, ein Mann mit bösen Augen und buschigen Augenbrauen, widersetzte sich der amerikanischen Intervention, obschon aus humanitärem und damit noblem Anlaß interveniert wurde. Die Intervention in Somalia endete schändlich, worauf zum Trost im Jahr darauf in Haiti einmarschiert und der schurkische General Raul Cedras gegen den gewählten Präsidenten Jean-Bertrand Aristide ausgetauscht wurde. Es ging um Demokratie, Unterbindung des Drogenschmuggels und Brot fürs Volk, haute indes nicht ganz hin, da Haiti heutzutage kaum Brot und nur wenig Demokratie hat, Drogen aber unschwer erhältlich sind. 1995 war ein besseres Jahr, mit einem soliden Nazi (Radovan Karadic) und einer terrorisierten Bevölkerung in Bosnien. Sarajevo lieferte jede Menge Begründungen für verspätete amerikanische Luftangriffe, worauf der Nazi erledigt und mit dem Obernazi der Dayton-Vertrag abgeschlossen wurde.

Slobodan Miloevic durfte fortan staatsmännisch den Frieden in Bosnien garantieren, bis er im Kosovo abermals durchdrehte. Seine Metamorphosen sind aus amerikanischer Sicht schlicht atemberaubend: erst Hitler, dann Signatar eines Friedensvertrags, darauf erneut Hitler. Je nachdem, wie der Kosovo-Konflikt endet, wird man Slobodan womöglich zwecks Entnazifizierung wieder in die Image-Rehaklinik schaffen müssen, damit er als weitsichtiger Staatsmann mit der Nato Friedensverträge unterzeichnen kann.

Der Stil amerikanischer Interventionen hat sich unter Bill Clinton verändert. Sie sind hygienischer geworden, antiseptischer. Bombardements aus der Luft sind das beliebteste Mittel, am allerbeliebtesten sind Marschflugkörper. Niemand pilotiert sie, niemand kann abgeschossen werden. Man straft Saddam regelmäßig mit ihnen ab, nach Afghanistan (1998) und in den Sudan (1998) flogen sie auch. Bombardierungen aus der Luft, schreibt der amerikanische Militärexperte Eliot Cohen, seien eine „ungewöhnlich verführerische Form militärischer Stärke, weil sie wie moderne Beziehungen Befriedigung ohne Verpflichtung zu versprechen scheinen“ – genau das, wovon Bill Clinton träumt.

Beim Rückblick auf nahezu zwei Jahrzehnte amerikanischer Interventionen bleibt zu beklagen, daß man sich doch schönere Codenamen für die Einsätze gewünscht hätte. „Operation Allied Force“ oder „Operation Desert Storm“ befriedigten weder sprachlich noch vom Propagandawert her, waren außerdem geographisch nie zuzuordnen. Ausgesprochen trokken las sich das. Mit poetischeren und einprägsameren Namen wäre das nicht der Fall gewesen. Etwa „Operation Beach Boys“ für Küsteninvasionen wie etwa in Grenada, „Operation Heavy Metal“ bei schweren Luftangriffen wie jetzt in Jugoslawien.

Auch wären die Pentagon-Bürokraten gut beraten, mit den Namen der Schurken spielerischer umzugehen. Aus Slobodan könnte ohne weiteres Slob O'Dan werden. Schon wäre der Mann ein Ire. Nicht, daß es einen Unterschied machte. Wo Kosovo ist, weiß hier schließlich auch keiner. Also könnte es durchaus in Nordirland liegen.

Martin Kilian war von 1981 bis 1986 US-Korrespondent der taz und schreibt heute für die „Weltwoche“. Er lebt in Virginia

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