piwik no script img

Das System frißt seine Kinder

„Will this all end in tears?“ Das Scheitern nimmt sich, was des Scheiterns ist: Die deutsch-englische Live-Art-Gruppe Gob Squad gastiert mit ihrer ersten Bühnenshow „Save“ im Podewil  ■   Von Petra Kohse

Freunde des Hasenkostüms kommen gleich auf ihre Kosten. Mit einer Taschenlampe tastet ein Darsteller die dunkle Bühne ab, das pelzige Langohr-Cape locker über die Schulter geworfen. Wo so viel Nonchalance herrscht, ist noch nicht alles verloren. Tatsächlich deckt sich das auf die Videoleinwand „live“ übertragene Bild der Tatortsicherung nur scheinbar mit dem, was auf der Bühne zu sehen ist. Die wie leblos hingeworfenen Körper des restlichen Ensembles deuten nicht darauf hin, daß die Katastrophe schon stattgefunden hat, sondern ganz im Gegenteil: Sie steht noch bevor.

Die deutsch-englische Live-Art-Gruppe Gob Squad (etwa: Rotz-Truppe), die im Podewil gastiert, hat nach fünfjähriger Performancearbeit im März auf Kampnagel/Hamburg ihre erste Bühnenshow herausgebracht. Unter dem Titel „Safe“ geht es darum, daß es im wirklichen Leben natürlich keine Sicherheit gibt, sei es, daß man als Teneriffa-Urlauberin im Charterflieger plötzlich die Schwimmweste braucht oder als Drummerin einer Rockband während des Auftritts das Rhythmusgefühl verliert. Scheitern kann mühsam ins Licht gerücktes Dasein auf vielen Ebenen, und daß Scheitern abendfüllend sei, propagierte letztes Jahr um diese Zeit schon Christoph Schlingensief.

Anders als Schlingensief und dessen Kunst, sich Allgemeines als privat anzueignen, geht es den Darstellern von Gob Squad (Johanna Freiburg, Alex Large, Sean Patten, Liane Sommers, Berit Stumpf und Simon Will) aber darum, das Private in einem Kunstkontext als allgemein vorzuführen. Das funktioniert auf mehreren Ebenen. „Any questions?“ beendet der im Hasenkostüm etwa die Tatortsicherung und springt in die Rolle eines Rockmusikers, der mit seinen Bandkollegen auf einer imaginären Pressekonferenz nicht gestellte Fragen beantwortet. Dabei können Gob Squad, die gemeinsam mit Stefan Pucher an der documenta X teilgenommen haben („15 Minutes to comply“) und seither mitteleuropaweit beachtet werden, weitgehend sich selbst spielen: Ja, unser Leben hat sich verändert, nein, das Geld ist immer noch nicht das Wichtigste.

Auch später, wenn es um Gruppendynamik geht, hat man den Eindruck, man schaut den Performern beim Leben zu, und da berührt der Rocksänger, dessen Herz man plötzlich laut klopfen hört, weil ihm die Töne wegrutschen, ebenso wie die Schönheitskönigin, die mit grüßend erhobenem Arm dem unachtsamen Scheinwerferspot über die ganze Bühne nachhoppeln muß. „Will this all end in tears?“ fragt es dazu auf der Leinwand. Und schon liegen alle auf dem Boden und schluchzen, während der im Hasenkostüm abermals scheinbar den Tatort filmt, tatsächlich aber eine Sequenz mit lachenden Darstellern eingespielt wird.

Dieses Durch- und Nebeneinander von Daseinsmöglichkeiten und Rollen, das immer wieder auf das Motiv des Fliegens vor dem Absturz zurückkommt, erzeugt eine angenehm beiläufige Atmosphäre. Der funktionselitären Organisation des Lebens setzen Gob Squad den spielerischen Versuch entgegen, in tückisch wechselnden Kontexten sie selbst zu bleiben.

Doch das Scheitern nimmt sich, was des Scheiterns ist: Ob Reinhard Mey verpunkt wird, das Ensemble in Fluguniformen auf einem Flughafen grimassiert oder das beste Gitarrensolo von der Leinwand herab als gefaket denunziert wird („He was miming!“) – immer frißt das System seine Kinder, verschwinden die Zeigenden hinter den Zeichen, auf die sie deuten. Auch daß die charmante Laszivität des Bühnengeschehens gelegentlich in Leerlauf umzukippen droht, paßt ins Konzept und besiegelt die Stage-credibility der Macher. Beim Thema Ungesichertheit macht Gob Squad im 90-Minuten-Format keiner etwas vor.

Bis 21. 4., 20 Uhr, Podewil, Klosterstraße 68 – 70, Mitte

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen