: Geiselnehmer in Klinik eingewiesen
■ Gestern verurteilte das Berliner Landgericht den 26jährigen Algerier, der in Berlin einen Dreijährigen als Geisel genommen hatte
Am Ende ging es schnell. Nach nur zwei Verhandlungstagen entschied gestern das Berliner Landgericht, den 26jährigen Algerier, der am 26. Oktober vergangenen Jahres einen dreijährigen Jungen auf dem Berliner U-Bahnhof Kottbusser Tor als Geisel genommen hatte, in einer psychiatrischen Klinik unterzubringen. Begründung: Der Mann habe eine Psychose und sei deshalb schuldunfähig.
Alles begann um 11.40 Uhr an jenem Oktobertag auf besagtem U-Bahnhof. Wie die 35jährige Mutter des kleinen Franz am ersten Verhandlungstag berichtete, war ihr Sohn ein kleines Stück vorausgelaufen, als er von einem fremden Mann mit einer tief ins Gesicht gezogenen Mütze auf den Arm genommen wurde. Was erst wie ein Spaß aussah, entwickelte sich zu einem sechsstündigen, Nerven blanklegenden Martyrium für die Mutter, und auch auf Seiten der Beamten des Sondereinsatzkommandos war die Anspannung groß. „Etwas dermaßen Gefährliches für ein Kind habe ich in meiner 14jährigen Dienstzeit beim SEK noch nicht erlebt“, gab der 40jähriger Beamte L. während der Verhandlung zu Protokoll. Mit einem Küchenmesser hatte der Geiselnehmer das Kind bedroht und wirre Forderungen gestellt, bis ihn schließlich ein SEK-Beamter in einem unachtsamen Moment durch einen gezielten Tritt gegen den Kopf überwältigen konnte.
Eine ambulante Hilfe sei bei dem Algerier nicht möglich, stellten nun gestern die Richter des Landgerichts fest. Ohne Behandlung sei der Mann eine Gefahr für die Allgemeinheit, seien weitere Straftaten nicht auszuschließen. Seine Krankheit verlaufe schubweise, schlossen sich die Richter den Ausführungen einer Gutachterin an. Ein solcher Schub habe auch bei der Geiselnahme vorgelegen und könne sich jederzeit wiederholen.
Sein krankhaftes Verhalten habe sich auch am Tattag durch sein paranoides Verhalten und seine realitätsfernen Forderungen gezeigt, urteilte das Gericht. Und auch Staatsanwaltschaft und Verteidigung befürchteten, daß der junge Algerier ohne Behandlung in einer geschlossenen Anstalt neue Straftaten verüben könnte.
Nach Angaben der Mutter habe ihr Sohn die Ereignisse den Umständen entsprechend gut verarbeitet. Nur wenn der kleine Franz die Polizei oder die Feuerwehr sehe, erinnere er sich an die Geiselnahme: „Böser Mann hat mich festgehalten, Polizei hat mich rausgeholt, Krankenhaus hat mich gesund gemacht“, sage er dann.
Die schrecklichen Ereignisse im U-Bahnhof Kottbusser Tor hatten im letzten Jahr in Berlin erneut zu einer Diskussion über eine gesetzliche Regelung des „finalen Rettungsschusses“ geführt. Während die Polizei einen rechtlichen Handlungsrahmen für die Beamten fordert, sieht die Justiz die Möglichkeit eines solchen Schusses durch geltendes Recht abgedeckt.
„Es hat in Berlin noch keinen Täter gegeben, der so nah am Tod war wie dieser Mann“, hatte nach dem Ende der Geiselnahme im vergangenen Oktober der SEK-Einsatzleiter erklärt. Nach den polizeilichen Bestimmungen über den Schußwaffengebrauch ist ein tödlicher Schuß in einer lebensbedrohlichen Situation auch ohne eigenes Gesetz für den „finalen Rettungsschuß“ möglich. Rechtsgrundlage sind hier die Vorschriften des Strafgesetzbuches über die Notwehr- und Nothilferechte.
Dennoch: Fakt ist, daß gegen jeden Polizisten, der schießt, zunächst einmal ermittelt wird. Wenn der Schußwaffengebrauch rechtmäßig war, wird das Verfahren eingestellt. Dies wäre auch im Fall einer Neuregelung bestehender Gesetze nicht anders. Der Unterschied jedoch ist, daß der Vorgesetzte dem Beamten nunmehr befehlen könnte abzudrücken. Im Zweifelsfall käme es dann sowohl gegen den Beamten als auch den Befehlshaber zum Prozeß. Der stellvertretende Vorsitzende der Berliner GdP, Detlef Rieffenstahl, sagt deshalb: „Es ist ein kleiner Unterschied, ob der Schütze allein oder zusammen mit dem Innensenator auf der Anklagebank sitzt.“ taz/dpa
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