Chinas altlinke Strategen fordern Umdenken

■ Streit um WTO-Beitritt, das Verhältnis zu Japan und Kosovo-Krieg: In der Volksrepublik China melden sich die orthodoxen Gegner der Öffnungspolitik zum Westen wieder zurück

Zum ersten Mal seit 1996 wird in China wieder ein radikaler Kurswechsel in der Außenpolitik gefordert. Die „Allchinesische Studiengesellschaft für Strategieforschung“ tagt in Peking. Hauptthema: Wie schützt man die Staatssicherheiten Chinas? Fazit: Man muß auf der ganzen Linie politisch umdenken. So stellte der Vorsitzende der Studiengesellschaft und pensionierte Generaloberst Qiong Guangkai fest, daß in der heutigen Welt nicht nur kein Frieden eingekehrt sei, sondern die Kanonenbootpolitik wieder drastisch zugenommen habe.

Noch schärfer ist Qiongs Urteil über die internationale Lage: Die Bildung militärischer Blöcke sei wieder im Trend. Damit widerspricht der Hardliner Qiong der offiziellen Analyse der KP-Führung unter Jiang Zemin. Sie lautet: Frieden und Entwicklung seien die dominierenden Tendenzen der heutigen Welt. Der hohe Militär widerspricht auch der Pekinger Realpolitik, die immer wieder erklärt, China strebe nach dem Ende des Kalten Krieges auf keinen Fall wieder ein Militärbündnis an.

Radikal klingen auch andere Forderungen der chinesischen Strategen: Man müsse jetzt die ökonomische Staatssicherheit Chinas wieder schützen. Schon zuvor hatten renommierte Ökonomen in amtlichen Medien einschließlich des Parteiorgans Volkszeitung davor gewarnt, ein Beitritt Chinas zur Welthandelsorganisation (WTO) bedeute auch große Risiken für Chinas Wirtschaftssystem.

In Internet-Foren versuchen marxistische Linke schon, die chinesische Außenwirtschaftspolitik neu zu definieren. Ziel sei es, die Außenöffnung Chinas zu stoppen. Im Klartext: kein WTO-Beitritt um jeden Preis. Bereits bei seinem USA-Besuch sagte Premier Zhu Rongji, er könne in der WTO-Frage keine weiteren Zugeständnisse mehr machen. Denn sonst könnte man den Eindruck gewinnen, er verkaufe Chinas Interessen und wolle in Washington nur politische Geschenke austeilen.

Doch auch den Strategen in Peking geht um politische Interessen. Die Themen sind bekannt: Wie soll China sich Japan gegenüber verhalten, das laut amtlichen chinesischen Medien ein Wiederbeleben des Militarismus anstrebt? Wie soll sich China dem Westen gegenüber verhalten, der mit dem Kosovo-Einsatz den UN-Sicherheitsrat außer Kraft gesetzt hat und dies jederzeit wieder machen kann, wenn die USA es wollen.

Diese Fragen bieten realpolitischen Zündstoff: Noch wirbt Premier Zhu im Ausland um Verständnis für Chinas Willen zur globalen Zusammenarbeit. Um guten Willen zu zeigen, räumte er sogar erstmalig in, daß die Demonstranten in Peking 1989 löbliche Demokratie forderten und nicht etwa – wie die damalige Führung unter Deng Xiaoping behauptete – Chaos stiften wollten.

Noch empfing Staatspräsident Jiang Zemin mit gemimter Freundlichkeit japanische Gäste und beteuerte Chinas Willen, Japan als friedfertigen Nachbarn zu betrachten. Doch inzwischen kommentierten sogar äußerst vorsichtige Hongkonger Zeitungen wie Ming Pao die chinesisch-japanische Entwicklung mit den Worten, daß es nicht mehr um die Frage gehe, ob China und Japan Freundschaft pflegen dürften. Es ginge jetzt vielmehr darum, ob die beiden Länder im kommenden Jahrhundert einen neuen Krieg gegeneinander vermeiden könnten.

Schon daß amtliche Medien der Tagung der „Allchinesischen Studiengesellschaft für Strategieforschung“ überhaupt so große Aufmerksamkeit einräumen, ist brisant. Denn die Gesellschaft besteht hauptsächlich aus ausgemusterten Generälen, Verwaltungsbeamten und Diplomaten – allesamt Kader, die im politischen Machtkampf meist in Mißgunst gerieten. Ihre von der offiziellen Linie abweichenden Stimmen waren seit Jahren nicht mehr zu vernehmen. Nun sind die Kontrahenten einer mehr oder minder pro-westlichen Reformpolitik wieder da. Shi Ming