: Mit Urangeschossen gegen Panzer
Die Nato bestückt ihre Kampfflugzeuge in Jugoslawien mit schwach radioaktiver Munition. Die Geschosse gelten wegen ihrer großen Durchschlagkraft als extrem „effektiv“ – und als gefährliche Gifte ■ Von Bernhard Pötter
Sie tragen Spitznamen wie „Warzenschwein“ und „Panzerknacker“ und ihre Geschosse gehen durch Panzerungen „wie ein Messer durch die Butter“. Die Flugzeuge der US-Luftwaffe mit der Bezeichnung A-10 und die „Harrier“ der britischen Airforce gelten als die schärfsten Waffen gegen Panzer, weil sie eine besondere Munition einsetzen: Patronen mit abgereichertem Uran („Depleted Uranium“, DU), die den Geschossen eine extrem hohe Durchschlagkraft verleihen. Die Munition steht nicht nur im Verdacht, gegen die Genfer Konvention zu verstoßen – sie soll bei überlebenden Soldaten und Zivilisten auch zu Vergiftungen und schweren Gesundheitsschäden führen.
Die Nato schweigt sich über den Einsatz von speziellen Flugzeugen, über ihre Zahl und Einsatzziele aus. Dennoch bestätigte die US-Luftwaffe gegenüber der taz, daß die 15 A-10-Maschinen in Jugoslawien die Uran-Munition „als Teil ihrer Bewaffnung“ tragen können. Charles Wald, Generalmajor der US-Luftwaffe, bestätigte bei einer Pressekonferenz im Pentagon, daß die A-10-Maschinen in die Kämpfe in Jugoslawien eingegriffen und Militärfahrzeuge attackiert haben.
Ob die Flugzeuge bei diesen Angriffen die spezielle Munition einsetzen, wird von der Nato ebensowenig bestätigt wie der Gebrauch des abgereicherten Urans als Munition in den 24 Apache-Hubschraubern der US-Armee, die nach Albanien verlegt werden. Nach Informationen der US-Organisation „Fairness and Accuracy in Reporting“ tragen jedenfalls auch diese Hubschrauber die DU-Waffen, deren Erfolg vor allem auf der Durchschlagkraft des abgereicherten Urans beruht.
Es ist so schwer, daß es als Mantel für Geschosse selbst die stärksten Stahlplatten von gepanzerten Fahrzeugen durchdringt. Beim Auftreffen zerstäubt das eigentlich relativ harmlose Metall zu giftigen radioaktiven Teilchen, die sich in der Umgebung verteilen. Für den Marburger Nuklearmediziner Horst Kuni ist das schwach strahlende Material vor allem ein Gift: „Die chemische Giftigkeit des abgereicherten Urans überstiegt weit die radiologische.“ Der Stoff könne eingeatmet oder geschluckt werden oder durch Wunden in den Körper gelangen.
Auch die britische Luftwaffe hält für ihre „Harrier“-Kampfflugzeuge die DU-Munition bereit. Nach einem Bericht der Tageszeitung The Guardian hat das britische Verteidigungsministerium den Einsatz der schwach strahlenden Munition im Kosovo-Konflikt bisher bestritten. Bei Angriffen auf Panzer, so das Ministerium, würde die Munition aber zur Anwendung kommen. Nach Guardian-Angaben nutzt das Militär für die Herstellung der DU-Geschosse die nuklearen Abfälle aus der britischen Wiederaufbereitungsanlage Sellafield. Die deutschen Tornados feuern nach Angaben des Bundesverteidigungsministeriums nur mit konventionellen Harm-Raketen. Sie seien nur an Angriffen gegen Kommunikationsanlagen beteiligt, nicht an Einsätzen gegen gepanzerte Fahrzeuge, hieß es von der Hardthöhe.
Wie schädlich die schwach radioaktive und giftige Munition für überlebende Soldaten und die Zivilbevölkerung sein kann, ist umstritten. Vor allem seit dem Golf-Krieg 1991 reklamieren viele ehemalige US-Soldaten, ohne ihr Wissen durch den Einsatz der Munition vergiftet worden zu sein. Der Kontakt mit dem Uranstaub führe zu schweren Gesundheitsstörungen, so die Veteranenorganisation.
Im Golf-Krieg, dem ersten großangelegten Einsatz der neuen Munition, feuerten amerikanische Panzer nach offiziellen Angaben mindestens 4.000 DU-Granaten ab, aus den Flugzeugen kamen 940.000 strahlende Kugeln. Das Militär schätzte nach dem Krieg, daß insgesamt 300 Tonnen Uran auf den Schlachtfeldern in der Wüste zurückblieben. Zusammen mit den Belastungen aus explodierten Giftgasdepots und den über Monate auf dem Land lastenden Rußschwaden aus den brennenden Ölquellen trug das Uran nach Meinung vieler Ärzte dazu bei, daß die Bevölkerung im Süden des Irak nach dem Krieg unter einer fünfmal höheren Krebsrate leidet als davor.
Das US-Verteidigungsministerium leugnete das Problem am Anfang hartnäckig, gab später aber zu, daß „Tausende von Soldaten“ geschädigt worden waren. Eine abschließende Untersuchung, ob der Einsatz der DU-Munition zum sogenannten „Gulf War Syndrome“ beigetragen hat, unter dem seit dem Krieg viele US-Soldaten leiden, steht noch aus. Ein Bericht der ballistischen Forschungslabors der US-Army nennt die Belastung durch die DU-Munition im Krieg vertretbar, die Strahlendosen seien aber „in Friedenszeiten unakzeptabel“.
Für den Völkerrechtsexperten Hans-Joachim Heintze von der Ruhr-Universität Bochum ist der Einsatz der strahlenden Munition möglicherweise ein Verstoß gegen die Genfer Konvention. Ein Einsatz gegen Militärs sei von der Konvention gedeckt, doch wenn Zivilisten betroffen seien, müsse es eine Abwägung geben, ob dieser Schaden vermeidbar sei: „Wenn es eine unverhältnismäßig große Verstrahlung oder Vergiftung der nichtkämpfenden Bevölkerung gibt, könnte das gegen die Konvention verstoßen.“
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