: Pestbeulen des Ungefähren
Ernsthaft, aber auch verschmitzt mit listiger Ironie changieren die Arbeiten von Mike Steiner – Die Ausstellung „Color Works“ zeigt vor allem Gemälde und Fotos, aber auch Videos des Künstlers ■ Von Sandra Frimmel
„Viele Dinge tun wir, weil wir high sind, oder?“ Beim Titel seiner neusten Arbeiten breitet sich ein hämisches Grinsen auf Mike Steiners Gesicht aus. Zwar präsentiert die Ausstellung „Mike Steiner: Color Works 1995–1998“ im Hamburger Bahnhof überwiegend Gemälde und Fotos des Künstlers.
Doch der eigentliche Anlaß für die Mini-Retrospektive liegt in der Schenkung von über 500 Videobändern aus der Sammlung Steiners an das Museum. Während seines New-York-Aufenthalts in den sechziger Jahren kam der damalige HdK-Student intensiv in Kontakt mit den Künstlern der Minimal art und dem damals in Deutschland noch weitgehend unbekannten künstlerischen Medium Video.
Nach der Rückkehr eröffnete Mike Steiner 1970 sein Künstlerhotel im Westteil Berlins, das zu dieser Zeit noch unbekannten Künstlern wie Marina Abramovic und Ulay, Carolee Schneemann, Jochen Gerz, Laurie Anderson, Nan Hoover, Ulrike Rosenbach, Friederike Pezold oder Valie Export Raum zum Leben und Arbeiten bot.
1974 schließlich wurde die Studiogalerie Mike Steiner eingeweiht, wo sich nun nahezu sämtliche auf dem Gebiet der Performance und Videoinstallation agierende internationale (Fluxus-) Künstler trafen, arbeiteten, Gemälde stahlen, ihre Körper verletzten und sich anderweitig verausgabten. Mike Steiner wurde vom produzierenden Künstler zum Medium für andere, indem er neben eigenen Videoarbeiten primär Performances und Aktionen per Video dokumentierte. Doch da „mittlerweile jeder Depp“, wie Steiner urteilt, mit dem Medium Video umgeht, „ohne zu wissen, was er da überhaupt macht“, wandte er sich in den letzten Jahren wieder mehr der Malerei zu, da die spannende Anfangsphase der Videokunst schon in den 70ern endgültig abgeschlossen war. Zudem sind Werke der damals nahezu unbekannten Künstler mittlerweile in jedem größeren Museum präsent.
Hotel und Galerie existieren nicht mehr, Steiners Sammlung geht digitalisiert nebst zahlreichen Relikten der Performances in das Archiv des Museums ein, das nun über frühe Videoaufnahmen Richard Serras, Bill Violas, George Maciunas, Allan Kaprows, Gary Hills, Nam June Paiks und zahlreicher anderer verfügt. Als abgeschlossene Sammlung von kunsthistorischem Wert betrachtet Mike Steiner seine Bänder, die er obsessiv hortete, von denen allerdings leider nur ein minimaler Teil während der Ausstellung zu sehen ist.
Im Ausstellungsraum empfängt den Besucher eine weiße Spirale auf schwarzem Grund, die zu Ulrike Rosenbachs Videoinstallation „Maifrau“ führt. Der Nachbau zu Carolee Schneemanns Performance „Up to and Including Her Limits“, eine Fotoserie zu Marina Abramovic' „Freeing the Body“ und Friederike Pezolds Partituren zu „Die neue leibhaftige Zeichensprache eines Geschlechts nach den Gesetzen von Anatomie, Geometrie und Kinetik“ ermöglichen einen reizvollen Blick auf die zu dieser Zeit überwiegend weibliche Domäne der Performance.
„Das ist meine persönliche Auseinandersetzung mit dem Feminismus, die Steinersche Methode.“ Die listige Ironie hinter diesen Worten entspringt nicht zuletzt der Selbstironie Steiners. Im Anschluß an die Relikte aus der Studiogalerie wendet sich die Ausstellung schließlich dessen eigenen Gemälden von 1995 bis 1998 zu, die diese Form der Ironie kultivieren, doch auch mit ihrer Brechung spielen. Die großformatigen, in ihrer Tendenz monochromen Werke, die sich aus quadratischen Holzplatten in serieller Reihung zusammensetzen, erschlagen einen beinahe in ihrer wuchtigen Reminiszenz an die Minimal art und die Farbfeldmalerei. Doch diese Wirkung wird in ihrer poetischen Abstraktion gebrochen, etwa in der brutalen Behandlung einiger Platten, denen Stücke herausgerissen und an anderer Stelle wieder zugefügt werden, als wüchsen ihnen Pestbeulen. Eine nochmalige Umdeutung erfahren die Werke durch die Titel: „Der Charme des Ungefähren“, „Nur das Spiel weiß, was auf dem Spiel steht“, „Zwischen Erde und Abenteuer“ oder „Ich mag feminine Farben, das sind Pluspunkte“ verwirren den Betrachter, changieren zwischen Ernsthaftigkeit und verschmitztem Schalk.
Den Abschluß der Ausstellung bildet das Videoenvironment „Wellness“, in dem Steiner als vergnügt-hinterhältig feixendes, rumpelstilzchenähnliches Männlein durch den Raum zu tanzen scheint. Auf einem glitschigen Boden, ausgelegt mit kleinen runden Keramikstückchen, bewegt sich der Betrachter auf zwei Stapel Flauschhandtücher und das verklärte Bild einer Krankenschwester nebst Rollstuhl zu, um das Werbevideo eines Tiroler Erholungshotels zu konsumieren. Der „Vital-Tempel“ preist seine Vorzüge derart kitschig-überzogen an, daß jedes seriöse Geschäftsgebaren ins Lächerliche umschlägt, zumal die Pflanzen an der frischen Luft stark an Marihuanagewächse erinnern. Es ist ein Readymade als Anti-Kunst und selbstironische Rückkehr zu den Anfängen.
Mike Steiner: „Color Works 1995–1998“, vom 17. April bis 11. Juli im Hamburger Bahnhof – Museum für Gegenwart
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