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Letter from ShanghaiEine Fata Morgana

■ Denunziation im Supermarkt: Die Ausstellung „Art For Sale“ wurde geschlossen

Es sollte das Shanghaier Kunstereignis des Frühjahrs werden. Geredet wurde über die Ausstellung jedenfalls seit Monaten. Es wurde geredet, es wurde gezweifelt, ob sie überhaupt stattfinden würde, und es wurde gemutmaßt über Ausstellungsorte und Sponsoren. Namen kursierten, von Künstlern, die dabeisein sollten, dabeisein würden, sich bitten ließen, aber nicht recht wollten, gerne dabeiwären, aber noch nicht gefragt worden seien. Schließlich gab es Listen, und dann gab es letzte Woche endlich auch eine Ausstellung.

„Art For Sale“ – das war Konzept, Motto und Ausstellungstitel in einem. Warum, so hatten sich drei junge Künstler gefragt, sollte man nicht die konsumversessenen Shanghaier mit Kunst konfrontieren, die ihnen mitten in ihrer Einkaufsmeile, der Huaihai Lu, im vierten Stock eines der himmelstürmenden Einkaufszentren voller Glas, Klamotten und gelangweilter Verkäuferinnen gegenüberstünde?

Warum nicht die Künstler zwingen, sich den Realitäten einer Stadt zu stellen, deren Hast, Kulturvergessenheit und krassen Materialismus so viele von ihnen beklagen? Schluß mit den großen Metaphern, her mit einer Kunst, die das Shanghaier Publikum dazu verlockt, seiner Lieblingsbeschäftigung nachzugehen – dem Einkaufen.

Shanghais Immobilienbaisse wirkte sich einmal segensreich aus. Es fand sich ein leeres Ladenlokal, vor dem sich bereits lange vor der Eröffnung ein Publikum versammelte, das zwar dem von den Organisatoren erträumten Idealkonsumenten in keiner Weise entsprach, aber ebensowenig dem demoskopischen Durchschnitt glich, der sich gewöhnlich in institutionalisierten Kunstveranstaltungen zusammenfindet. Deren Vertreter fehlten ebenso wie die ausländische Community.

Die, die dawaren, ließen sich vor lauter Euphorie über die erste große unabhängig organisierte Ausstellung, die diese Stadt seit Jahren gesehen hatte, in eine Stimmung aus Party und Schlußverkauf versetzen, die sie mit begeisterter Drängelei in den ersten Raum, den Supermarkt, hineintrug. Es war ziemlich eng, es war sehr warm, es gab Objekte – „Produkte“ im Sinne des Ausstellungskonzepts. Shi Yongs Idealbild des neuen Shanghaiers, in einer Auflage von 30 Stück aus Kunstharz gegossen, avancierte innerhalb von Minuten zum begehrten Sammelstück.

Mit Einkaufstüten beladen ging es weiter in die Dunkelheit der Installationsräume, in denen der Warenwert der Produkte sein ideelles Gegengewicht erhielt. Hier wollte die Kunst nun ausschließlich als Kunst gesehen werden – die Hälfte der etwa 30 Supermarktkünstler aus ganz China präsentierte ausschließlich für „Art For Sale“ konzipierte Arbeiten, die nicht berührt und in Widerspruch zum Ausstellungstitel gerade nicht gekauft werden sollten.

Und dann war am Dienstag mittag schon wieder alles vorbei. Die erste Reaktion auf die Schließung war das reflexhafte Verantwortlichmachen nicht näher definierter, kunstfeindlicher Behörden (taz 19. 04). Daß eine der Shanghaier Tageszeitungen „Art For Sale“ verriß, war nur eine weitere Bestätigung. Seitdem erscheint die Ausstellung wie schon zu Beginn als eine Art Fata Morgana: Jeden Tag kursiert ein neues Gerücht, auf der nächsten Ausstellungseröffnung diskutierte man den (teilweise bestätigten) Verdacht, eine beleidigte Künstlerin habe sich für ihre Nichtbeteiligung an der Ausstellung gerächt und die Veranstalter bei der Polizei angeschwärzt. Sollte sich diese Vermutung bestätigen, hätte man es mit einem besonders widerlichen Fall von Denunziation und Verrat zu tun – angesichts der schwierigen Situation der chinesischen Gegenwartskunst eine fatale Kunstverhinderung aus den eigenen Reihen. Stefanie Tasch

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