: Irrationale Kosten der Rationalisierung
■ Zur Vorschau: J.-G. König liest am Dienstag aus seinem neuen Buch wider den Terror des Sharholder Value. Es hätte Lafontaine gewidmet sein können
Ganz offensichtlich zählt König zur Gattung begeisterter, ja triebhafter Zeitungsdurchforster. In seinem neuen Buch schrieb er alles auf, was er in den letzten zwei Jahren in FR, Die Woche, Spiegel, ZEIT, SZ, The Observer, The Guardian (König lebt zeitweise in England) und sogar in der widerwärtigen FAZ aufstöbern konnte, über die Fusionen Daimler-Chrysler, Hoechst-RhonePoulenc, HypoVereinsbank, Thyssen-Krupp, Deutsche Bank-Bankers Trust, BP-Amoco etc. Habe ich doch alles selber gelesen, mag der zeitungssüchtige Bruder im Geiste Königs gähnen. Was er aber in Zeitungen vielleicht nicht gelesen hat: Daß das Jahr 1998 weltweit „schätzungsweise“ 24.000 Fusionen und Übernahmen zählen soll mit einem Volumen von 3.800 Mrd. Mark. „Schätzungsweise“ deshalb, weil das Phänomen Fusion, das einem beträchtlichen Teil deutscher Arbeitnehmer drohend im Nacken sitzt, von deutschen Wirtschaftsforschungsinstituten und Journalisten sträflich zögerlich verdatet und gedeutet wird.
Ist eigentlich auch gar nicht nötig. Zwar muß in der Politik jedes Statement der Mächtigen hinterfragt werden: Welche Interessen stecken hinter so erbaulichen Floskeln wie „Friedenssicherung“, „Verteidigung der Menschenrechte“, etc. Das Schöne hingegen an der Welt der Wirtschaft ist, so König, daß die Schrempps, Piechs, Henkels gar keine Hemmungen haben, die Antriebsursachen für die hochschießende Fusionswelle redlich zu benennen: Rationalisierung, vulgo: Massenentlassungen, sklavisches Verneigen vor dem Shareholder Value, Stärken der Marktposition gegenüber der Konkurrenz und der Machtposition gegenüber der Politik. Tyll Necker: „Wir müssen die Krise jetzt nutzen, denn jetzt sind die Menschen reif.“
Spätestens seit dem Wegmobben Lafontaines durch die Arbeitgeberverbände mit wortkräftiger Unterstützung aller relevanten Zeitungen von FAZ bis taz, müßte es jeder begriffen haben: Die zentralen sozial- und wirtschaftspolitischen Entscheidungen – Steuerrecht, Ökonormen, Renten, Bildung – werden immer weniger von demokratisch legitimierten Politikern gemacht, sondern immer öfter von den transnationalen Konzernen; sei es durch Plaudereien von Tausenden hochbezahlten Lobbyisten mit Abgeordneten bei Fünfgängemenues in den Edelklitschen Brüssels und Berlins, sei es durch weniger vornehme Drohgebärden von wegen Kapitalflucht und Verlagerung der Produktionsstätten.
Hat aber nicht jeder begriffen. Deshalb liefert König Daten und Fakten: Die hundert größten Konzerne strichen zwischen –93 und –95 vier Prozent der Arbeitsplätze und bei einer Elefantenhochzeit sind (fast) in der Regel deren zehn Prozent fällig. Doch das was stolz als höhere „Effizienz“ und klügeres Management ausgegeben wird, geht zu nicht geringem Teil auf Knochen und Geldbeutel des Arbeitnehmers. Er muß wieder 40 Stunden arbeiten (Pirelli), aufs 13. Monatsgehalt verzichten, wird aus der Schutzzone der Tarife verdrängt. Deregulierung pur. Wenn es aber um Subventionen geht, dann vergessen die Unternehmen ganz schnell die Idee vom „schlanken Staat“. Komplette Produktionsanlagen ließ man sich vom verfemten Staat, finanziert über die Solidarbeiträge, in den neuen Bundesländern hinstellen – um sie nach ein, zwei Jahren wieder zu schließen, wenn es nicht gut genug lief. Und wenn ein Riese trotz Rationalisierung ins Wanken gerät, dann zahlt der Steuerzahler: Gewinne werden konzentriert, Verluste sozialisiert (siehe Vulkan).
Alter Hut, mag da mancher abwinken. Aber nach Überwindung der zähen ersten beiden Kapitel von Königs Buch, stößt der Leser endlich auf exakte, in der Presse allzu selten reflektierte Zahlen, die den wachsenden Einfluß der Wirtschaft dokumentieren: Die Deutsche Bank ist stolze Inhaberin von schätzungsweise fünf Prozent des deutschen Aktienmarkts (12 % von DaimlerChrysler, 25 % der Holzmann AG etc.) und verfügt auf Aktionärsversammlungen über das Stimmrecht von zehn weiteren Prozent über die Fondeinlagen ihrer Kunden. An der Allianz ist sie mit 9,4 % beteiligt. Die wiederum hält 5 % der Deutsche Bank Aktien, des weiteren 24 % der HypoVereinsbank und 21,6 % der Dresdner. Bei diesem hohen Grad gegenseitiger Verflechtung hat längst niemand mehr Interesse an einem Zugrundekonkurrieren der globel player – entgegen der ständigen Beschwörung von Wettbewerb. Fast sind sie so unantastbar wie Staatsunternehmen. Zugrundegedrückt werden allenfalls Mittelständler und Zulieferer – aber nicht durch höhere Leistung, sondern durch Marktmacht.
Die großen Anteilseigner (eben die Deutsche Bank, aber auch Versicherungen und amerikanische Pensionskassen) zitieren die Vorstände in ihre Zentralen und verpflichten sie auf den Shareholder Value – und aus den großen Bossen werden plötzlich kleine Befehlsempfänger des Kapitals. Lagen die Gewinne im Verhältnis zum Umsatz vor fünf Jahren bei ein bis zwei Prozent, wird heute den Anlegern nicht selten zehn Prozent beschert, bei Microsoft schon mal 30. Immer mehr Geld wird verdient durch intelligentes Nichtstun. Das Geld „arbeitet“. Und diese Gewinne werden nicht investiert in Produktionsanlagen, sondern in neue Börsenspiele.
Unternehmensberater verdienen weltweit 80 Mrd. Mark. Ihre Hauptaufgabe ist es nicht selten, Arbeitsplätze zu vernichten. Manchmal soll ihr Honorar berechnet werden nach der Anzahl der Vernichtungen: eine Art modernes Kopfgeld. An einer Fusion verdienen aber noch andere: Etwa 20 Millionen fordert die dahinterstehende Investmentbank für die Abwicklung.
In Königs kundiger Unternehmensschelte mischen sich auch ein paar ideologieverdächtige Elemente. Er scheint prinzipell Aversionen zu haben gegenüber global player. Dabei sind sie doch nur abzulehnen, solange es keine vernünftigen Welthandelsgesetze gibt, die die Staaten gegen Sozialdumping schützen. Manchmal gar geht ein patriotischer Gaul mit dem Autor durch. Den Erwerb deutscher Papierfabriken durch schwedische nennt er „Ausverkauf“, Adidas verübelt er Vorstandsmitglieder mit schweizer oder französischem Pass und ein Verlegen der Produktion nach Osteuropa findet er ganz furchtbar. Als hätten Polen und Ungarn nicht dasselbe Recht auf Einkommen wie Deutsche.
Barbara Kern
rororo-aktuell, 318 S., 16,80 Mark. Lesung am 27. April, 20 Uhr, Presseclub (Schnoor 22), Einführung: Rudolf Hickel
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