piwik no script img

Love is in the air

Totgesagte leben meistens länger: Die Hamburger Band Blumfeld und ihr charismatischer Vorturner Jochen Distelmeyer spendeten in der Kalkscheune den Ungläubigen Trost und neue Hoffnung  ■    Von Gerrit Bartels

Es scheint es, als ob die Entspanntheit und das Gutfühlen, das Blumfelds Vorturner Jochen Distelmeyer seit einigen Monaten durchs Leben und die Medien spaziern führt, sich auch auf seine Fans und deren Gemütsverfassungen übertragen hat. Angenehm unspektakulär und ruhig geht es beim Konzert von Blumfeld am Mittwochabend in der Kalkscheune zu, ohne großes Gedrängel beim Einlaß, und auch drinnen rempeln sich die Leute nicht an oder stehen sich auf den Füßen.

Und das, obwohl sich die Band mit ihrem Album „Old Nobody“ vermutlich ganz neue Hörerkreise erschlossen hat. Raus aus dem Hamburger Diskurs-Pop-Ghetto, rein in die Charts. Dort stieg das Album beim Erscheinen auf Platz 17 ein, hat sich bis heute 50-60.000mal verkauft, und fast unwidersprochen arbeitet Jochen Distelmeyer daran, eine Art deutscher George Michael zu werden.

Trotzdem sind es immer noch die alten Fans und Wegbegleiter, die sich an diesem Abend versammelt haben, keine Leute, die neben George Michael, Elton John oder Freddy Mercury plötzlich auch Jochen Distelmeyer hören wollen. Die Band heißt zwar Blumfeld, doch Blumfeld ist Jochen Distelmeyer, er ist der Charismatiker, er hat das Popstar-Image, das er schon Mitte der Neunziger nicht unerfolgreich kultivierte, perfektioniert, er ist Kommunikator und Integrator. Sein Erscheinungsbild und das seiner Bandkollegen deckt sich an diesem Abend einmal mehr mit dem von Albumcover und Magazinfotos: gepflegte Frisuren, weiße Hemden, gute Manieren. Image ja, doch keine Entstellung der Realität, selbst wenn gerockt wird. Soviel Ehrlichkeit muß sein, schließlich sind es die ganz großen Themen der Menschheit, an denen sich Distelmeyer abarbeitet, die großen Rätsel, die keine Cybertechnik in den Griff bekommt, die Liebe, der Tod, das lange Leben der Totgesagten. „Tausend Tränen tief“, eines „der beiden expliziten Liebeslieder auf unserem neuen Album“, trägt er zu Beginn mit Hingabe und geschlossenen Augen vor, und bald nach „Immer wieder Liebeslieder“ gibt es eine kleine Ansprache: „Wer ist nicht schon alles für tot erklärt worden: Gott, der Song, Techno, neuerdings auch Drum&Bass, das Subjekt, der Autor. Und die Linke, die in der letzten Ausgabe der Woche, ich glaube sogar vom Herausgeber, in den Tod geschrieben wurde. Dieser Song handelt davon, daß genau dem nicht so ist“.

Glaube, Liebe und Hoffnung, die Idee des politischen Widerstands, Distelmeyer möchte all das seinem Publikum auf den Weg geben, (den Tod des Pazifismus hat er vergessen, das wäre aber vielleicht zu aktuell und könnte die Stimmung aus dem Gleis geraten lassen).

Er spendet Trost all denen, die an nichts mehr glauben und deren Lieben immer wieder in die Brüche gehen. Und selbst als jemand „Last Christmas“ dazwischenruft, kontert Distelmeyer das ganz gelassen mit „Das kommt später“. So driftet alles auseinander, nur um von Distelmeyer in persona zusammengefügt und in seiner Widersprüchlichkeit ausgehalten zu werden: „Last Christmas“ und die Linke, Diskurs-Pop und Champions-League-Halbfinale, auf der Bühne schwitzen und rokken und trotzdem schön aussehen und eine gute Figur abgeben, die alten, widerborstig klingenden Lieder und die berührend schönen neuen, einen Song der Berliner Band Jetzt und Van Halens „Jump“, den Titel „Draußen auf Kaution“, entliehen „von der befreundeten New Yorker Malerin Jutta Koether“ und ein „Love Is In The Air“ -Sample.

Viel Liebe in der Luft, viel Spaß, viel Ernst, und dann noch die zwei wirklich bedeutenden Fragen im Leben: „Ist das alles, was das Leben fragt?“, nämlich „Kommst Du mit in den Alltag?“. Ist eben doch schöner, der Jochen von nebenan zu sein als ein Überpopstar wie George Michael. Schade zwar für das Publikum, daß auch ein Blumfeld-Konzert nur ein Teil dieses schnöden Alltags ist.

Den aber aushalten zu können und von Blumfeld eine Idee schöner ausgeleuchtet zu bekommen, diesen Effekt hatte der Abend aber doch.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen