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Ernstfall: Die Nato kriegt die Krise

■ Ein Jubelfest sollte es werden, ein „Arbeitsgipfel“ wird es. Auf dem heute beginnenden Treffen der Regierungschefs der Nato-Länder wird um die Haltung gegenüber Milosevic, den deutschen Friedensplan und den möglichen Einsatz von Bodentruppen gestritten werden

In Washington beginnt heute der dreitägige Gipfel der 19 Nato-Regierungschefs aus Anlaß des 50. Geburtstages der Militärallianz, die am 4. April 1949 in der US-Hauptstadt gegründet wurde. Doch die ursprünglich geplante Jubiläumsveranstaltung, auf der „die erfolgreichste Allianz der Geschichte“ sich selbst, ihre künftige „neue Rolle“ sowie die kürzlich vollzogene Aufnahme der drei neuen Mitglieder Polen, Ungarn und Tschechische Republik feiern wollte, wurde inzwischen zu einem „Arbeitsgipfel“ herabgestuft. Viele Beobachter sprechen gar von einem „Krisengipfel“.

Überschattet wird die Veranstaltung vom seit viereinhalb Wochen erfolglosen Luftkrieg der Nato gegen Restjugoslawien und der dadurch verschärften Vertreibungsoffensive serbischer „Sicherheits“-Kräfte gegen die Kosovo-Albaner. Neben Diskussionen über den Einsatz von Bodentruppen sowie die weitere militärische und politische Strategie der Allianz in der Auseinandersetzung mit dem restjugoslawischen Präsidenten Slobodan Miloevic ist mit Kontroversen über die völkerrechtliche Grundlage für künftige Einsätze der Nato außerhalb ihres bisherigen Vertragsgebietes (“out of area“) zu rechnen. Auch über die weitere Arbeits-und Lastenverteilung zwischen den USA und den Europäern innerhalb des Bündnisses gibt es noch keinen Konsens. Bis gestern hatten sich Vertreter der 19 Nato-Staaten bei allen vier geplanten Gipfeldokumenten noch nicht auf den Wortlaut einigen können.

Die Clinton-Administration war in den letzten Tagen bemüht, die dreitägige Veranstaltung bereits vorab als Erfolg zu verkaufen und alle Zweifel am Luftkrieg gegen Restjugoslawien wegzuwischen. „Die Luftangriffe sind erfolgreich. Der Gipfel wird die Gemeinsamkeit und Entschlossenheit der Allianz demonstrieren, die ethnischen Vertreibungen im Kosovo zu beenden. Der Einsatz von Bodentruppen steht nicht zur Diskussion.“ So lautet die Hauptbotschaft, die Präsident Clinton, Außenministerin Madeleine Albright, Verteidigungsminister William Cohen und Sicherheitsberater Sandy Berger ihren ZuhörerInnen seit Anfang der Woche zu vermitteln suchten – sekundiert von Tony Blair, Washingtons treuestem Verbündeten beim Thema Kosovo.

Der britische Premierminister, der gemeinsam mit Clinton den Gipfel weitgehend bestimmen dürfte, hält sich bereits seit Mittwoch in Washington zu Beratungen mit dem Präsidenten auf. Doch ausgerechnet Blair sorgte für Irritationen.

Am Mittwoch wurde aus seiner Umgebung bekannt, er habe sich bei Clinton für den Einsatz von Bodentruppen im Kosovo-Krieg eingesetzt.

Die auch vom Bonner Außenamts-Staatssekretär Wolfgang Ischinger verbreitete offizielle Sprachregelung zum Thema Bodentruppen (“Steht nicht auf der Tagesordnung!“) wurde am Donnerstag zusätzlich erschüttert durch Informationen aus dem Brüsseler Nato-Hauptquartier.

Danach hat Generalsekretär Javier Solana seine Militärstäbe mit der „Aktualisierung“ und „Modernisierung“ der bislang ausgearbeiteten Szenarios für den Bodentruppen-Einsatz beauftragt.

Unklarheiten – auch zwischen Washington und London – gibt es in der Allianz über die weitere politische Strategie gegenüber Miloevic. Die Nato werde ihre Luftangriffe fortsetzen, bis er „zurücktritt“ (“steps down“), hatte Blair am Dienstag verkündet. Die Clinton-Administration läßt seitdem verbreiten, der britische Premierminister habe sich „versprochen“. Tatsächlich habe Blair sagen wollen, bis Miloevic den Forderungen der Nato „nachgibt“ (“backs down“). Diese Frage ist von Relevanz für die geplante Kosovo-Erklärung des Gipfels.

Offen ist auch, ob die Nato in dieser Erklärung – wie vor allem von den USA und Großbritannien verlangt – weiterhin auf vollständiger Erfüllung ihrer Forderungen an Miloevic beharrt als Vorbedingung für die Einstellung der Luftangriffe. Oder ob bereits der Beginn ihrer Erfüllung zumindest für eine Unterbrechung der Angriffe ausreicht, wie es von der Bundesregierung im sogenannten „Fischer-Plan“ letzte Woche vorgeschlagen wurde.

Das neue „Strategische Konzept“ der Nato sieht vor, daß die Allianz künftig nicht mehr nur das „Territorium“ ihrer Mitglieder und die als Nato-Vertragsgebiet definierten Atlantik-Gewässer verteidigt, sondern auch ihre „Interessen“.

Diese weitreichende Formulierung liefe auf eine völlig unbeschränkte globale Handlungsfreiheit der Nato hinaus.

Die USA wollen es dabei belassen. Deutschland, Frankreich und andere europäische Nato-Staaten verlangen geographische und völkerrechtliche Beschränkungen: Das Gebiet der künftigen Handlungsfreiheit soll auf den „euro-atlantischen Raum“ eingegrenzt werden und das Handeln der Nato außerhalb ihres bisherigen Vertragsgebietes nur „auf Basis der UNO-Charta“ erfolgen – im Klartext: Nur mit einem Mandat des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen.

In der Frage einer geographischen Begrenzung war bis gestern noch keine Einigung in Sicht. Hinsichtlich der Frage nach einer Rechtsgrundlage zeichnete sich als Kompromiß die völkerrechtlich unverbindlichere Formulierung „auf Basis der Prinzipien der UNO-Charta“ ab.

Damit würde eine Ausnahmemöglichkeit festgeschrieben. Die Erfahrung zeigt, daß vertraglich festgeschriebene Ausnahmebestimmungen in der Praxis schnell zur Regel werden. Andreas Zumach, Washington

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