piwik no script img

Der Spezialist für Äußerlichkeit

■ Hans Traxler wundert sich, daß er schon so viel gezeichnet hat und sagt: „Alles von mir!“

Hans Traxler ist ein Karikaturist, der die drei großen Gs seiner Kunst trefflich vereint: Graphik, Gritik und Gomik. Sein Gollege F. W. Bernstein rühmt darüber hinaus eine weitere Eigenschaft Traxlers: „Hans kann zeichnen.“ Will heißen: Er hat es richtig gelernt. Mit zarten 18 Jahren durchschritt er eine „strenge Observanz“ im Atelier von Professor Max Geyer in Regensburg, wohin es den 1929 im böhmischen Herrlich geborenen Traxler nach dem Krieg verschlagen hatte. Dort studierte er plastische Anatomie an enthäuteten Modellen – bis hin zum systematischen Studium der 82 Bewegungen des menschlichen Armes in Sepiakreide im Format 1:1. Aller Anfang ist schwer.

Am 21. Mai wird Traxler 70, und er kann auf ein ertragreiches Lebenswerk zurückblicken: Pardon und titanic mitbegründet, die Wahrheit über Hänsel und Gretel erforscht, zahlreiche Bücher illustriert und Oscar Lafontaine „zum Schmunzeln gebracht“ (Lafontaine). Der Verlag Zweitausendeins hat nun zum Traxler-Geburtstag einen dicken Traxler- Band aufgelegt – hauptsächlich Arbeiten für die Magazine der Süddeutschen, der FAZ und der Zeit –, der einen fast erstaunten Ausruf als Titel erhielt: „Alles von mir!“ Dabei handelt es sich nur um eine kleine Auswahl aus dem unübersehbaren Traxlerschen Schaffen, das aus der Kulturgeschichte der Bundesrepublik schon allein durch die Erfindung der „Birne“ zur Kanzlerwahl 1983 nicht wegzudenken ist.

Traxler, der zusammen mit Robert Gernhardt und F. K. Waechter der Republik die „Neue Frankfurter Schule“ als Populärform adornitischer Gesellschaftskritik schenkte, entfremdete sich im Lauf der 80er Jahre dem politischen Cartoon. Nun wandte er sich verstärkt dem Seelenleben der Gummibärchen zu, forschte über „den Menschen“ und „seine Sachen“. Traxler ist ein Archivar der Dinge und der Moden, ein präziser Realist und „hervorragender Vertreter der deutschen Äußerlichkeit“ (Bernstein). Vom deutschen Studienrat über den obligaten Mallorca- Touristen bis zum deutschen Punk zeichnet er das ganze Sortiment veritabler Spießigkeit in liebevoller Detailtreue. Seine besondere Vorliebe gilt dabei den spezifischen Wahnsinnsformen der 70er und 80er Jahre, den Biodynamikern und Ökopsychopathologen, Spätmaoisten und Buckelwalgesangsadepten, versammelten Trauerarbeitern und Regentanzkursabsolventen oder den Besuchern eines ökumenischen Tags des Waldbaums. Oben drüber aber, über diesen bereits historisch gewordenen Ausgestaltungen des deutschen Sonderwegs, wölbt sich die ewige Welt des Metaphysischen als Spiegelbild der Spießerseele: Gott trägt Strickjacke und langweilt sich, und der Teufel ist ein verlotterter Kneipenwirt.

Traxler ist nicht nur ein penibler Zeichner, sondern auch ein sorgfältiger Dichter. Seine knappen Bildtexte liefern – ähnlich wie die Arbeiten von Bernd Pfarr, als dessen Herausgeber er sich betätigte – abgeschlossene Kürzestromane, allerdings ohne dem Pfarrschen Hang zum Surrealen und zu expressionistischer Schräglage nachzugeben. In Traxlers Bildern ist jedes Detail realistisch, und so wird man im nächsten Jahrtausend in seinen Werken nachschlagen, wie die Gänseleuchte der 70er Jahre wirklich ausgesehen hat. Das Buch schließt konsequent mit Zeichnungen von einer Rußlandreise: Straßenszenen, Menschen, Häuser. Und mit Proben Traxlerscher Landschaftsmalerei, die F. W. Bernstein im Nachwort nicht zögert, dem Spätwerk Beethovens, den „33 Veränderungen über einen Walzer von A. Diabeli“, an die Seite“ zu stellen. Es muß ja nicht immer alles komisch sein. Jörg Magenau

Hans Traxler: „Alles von mir!“. Zweitausendeins, Frankfurt/Main 1999, 272 Seiten, 50 DM

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen