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Nato classic statt Nato neu

Jenseits aller offiziellen Verlautbarungen: Es gibt in den USA eine lebhafte Kritik am Nordatlantikpakt und den neuen Plänen des Bündnisses  ■   Aus Washington Peter Tautfest

„Schafft ein, zwei, viele Kosovos!“ Das ruft nicht die Handvoll Demonstranten am Washingtoner Dupont Circle, so sehr ihr Protest gegen die Nato-Tagung auch an die Anfänge der Antivietnamkriegsbewegung erinnert. Nein, so radikal ist die Protestbewegung gegen den Bombenkrieg der Nato noch nicht. An den in den 60er Jahren oft angestimmten Straßenchor „Schafft ein, zwei viele Vietnams“ erinnert keine fünfhundert Schritte von der Kundgebung entfernt Michael Mandelbaum, Professor für amerikanische Außenpolitik an der School of Advanced International Studies der John-Hopkins-Universität. Die Schwächung der Nato nämlich werde letztlich das Ergebnis ihres Engagements auf dem Balkan sein: „Wie auch immer der Krieg um das Kosovo ausgeht, er dürfte auf Jahrzehnte den Appetit der Nato auf Militäreinsätze dämpfen und damit den gleichen Effekt haben, den die Vietnamkriegsgegner damals mit ihrem Slogan erfolgreich herbeigewünscht hatten.“

Michael Mandelbaum gehört zu den Wissenschaftlern und Politikberatern, die eine anschauliche Sprache lieben: „Die Nato-Tagung wird eine Begräbnisfeier im Gewande einer Hochzeit sein“, sagt er. Die Neubestimmung der Militärallianz Nato zum Sicherheitsbündnis mit undefiniertem Auftrag und unbegrenztem Einsatzgebiet sei wie der Versuch von Coca-Cola vor ein paar Jahren, eine neue Cola auf den Markt zu bringen. „Clinton dokterte an einem eingeführten und gut gehenden Produkt herum, nur um festzustellen, daß es auf dem Markt dafür keinen Bedarf gibt. Er wird genau wie Coca-Cola zu Nato classic zurückkehren müssen“, sagt Mandelbaum.

Für Robert Manning, sicherheitspolitischer Fachmann des Council on Foreign Relations, hat sich mit dem Ende des Kalten Kriegs der Auftrag der Nato erledigt. Man kann die Nato in Reserve schicken: „Die Frühwarnzeit für eine möglicherweise nötig werdende Reaktion auf ein möglicherweise wiedererstarktes Rußland beträgt eine Generation.“ Wichtiger als die Spekulation über mögliche Gegner sei die Zusammenarbeit mit dem alten: „Nach dem Zweiten Weltkrieg zog man die Lehren aus den Fehlern, die nach dem Ersten gemacht wurden, und die Koalition der Sieger arbeitete mit den alten Gegnern Deutschland und Japan zusammen, statt sie wie ehemals im Versailler Vertrag zu knebeln. Rußland sollte heute im Zentrum unserer Außenpolitik stehen. Wir aber tauschen Rußland gegen Jugoslawien“, sagt Manning. Er spielt auf einen Ausspruch Lyndon B. Johnsons in seinen Memoiren an, in denen er rückblickend bereut, seine „Geliebte, die soziale Gesellschaft, gegen die Hure Vietnam getauscht“ zu haben.

Alan Tonelson vom US Business & Industrial Council, einem Think Tank, der die Interessen eines Teils der Industrie an amerikanischer Außenpolitik formuliert, schlägt vor, bei der Nato das Prinzip der Nullbudgetierung einzuführen, ein Verfahren, bei dem Mission und Haushalt von Grund auf völlig neu konzipiert würden. „Was man in der Industrie alle fünf Jahre macht, könne man bei der Nato immer dann machen, wenn ein Kalter Krieg gewonnen würde.“ Das Aufgabengebiet der Nato sei uferlos und diffus geworden. Es reiche von Polizeiaufgaben bis zu technischen Hilfsdiensten, vom Nation Building (wie in Bosnien) zur Flüchtlingsversorgung (wie in Kosovo) und trage inzwischen mehr die Züge einer internationalen Sozialarbeit als die eines Verteidigungsbündnisses. „Die Nato ist zur Beschäftigungstherapie einer politischen Klasse verkommen, der jeder Begriff von Sicherheitspolitik abhanden gekommen und die außenpolitisch orientierungslos geworden ist.“

Für Ted Galen Carpenter, dem Fachmann für Verteidigungsfragen beim libertären Cato-Institut, ist der Hauptfehler der neuen Nato-Konzeption, daß sie einen Zwitter aus Verteidigungsbündnis und einer Organisation zur kollektiven Sicherheit hervorbringt. „Militärbündnisse sind per definitioem exklusiv und richten sich implizit oder explizit gegen einen definierten Gegner. Koalitionen zur kollektiven Sicherheit hingegen sind inklusiv und entsprechend uneffektiv, wofür der Völkerbund und die UNO Beispiele sind.“

Was an Nato-Kritik aus amerikanischen Think Tanks kommt, hört sich so ungewohnt an, wie das, was sich am Dupont Circle die 40 Sozialisten, Grünen, Trotzkisten und Punks aus einem quäkenden Megaphon anhören: „Die Zerstörung Jugoslawiens werde zu Milliardenaufträgen an die amerikanische Industrie für den Wiederaufbau und damit letztlich zur Weltbeherrschung Amerikas führen“, erklärt der Vertreter des Committee of Correspondence für Demokratie und Sozialismus.

Und für Jeff von den Peace Activists schlägt mit der Schulschießerei in Colorado die Gewalt der Bombenangriffe gegen den Irak und Jugoslawien, den Sudan und Afghanistan auf Amerika selbst zurück. Auch die Kritik am Vietnamkrieg begann als Sache einer Minderheit, deren Argumente skurril und deren theoretische Begründungen weit hergeholt wirkten.

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