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Sie schwieg für Frieden

■ Wie Antje Vollmer einem Pazifisten das Leben schwermacht

Lang ist es her, da hängten sich pazifistisch gestimmte Westdeutsche einmal wöchentlich Bärte, Pullover und Parkas um, versammelten sich im nächstgelegenen Stadtkern, stellten sich im Kreis auf, hielten sich an den Händen und schwiegen für den Frieden. Dieses Ritual wurde nur von einer Minderheit der Eingeborenen zelebriert, dafür aber aus Überzeugung. Den Nachrüstungsplänen der Nato setzten sie keine Waffengewalt oder Argumente entgegen, sondern nur ihre langen Gesichter und ihren stummen Protest.

Und so sah man 1981 ff. allerorten, von München bis Niebüll, friedensbewegte Menschen, die ihr Schweigen für Gold und sich selbst für die Sendboten einer neuen Zivilisationsepoche hielten, für den Frieden schweigen, Hand in Hand, zumeist dort, wo sie als lebende Polle den Fußgängerverkehrsfluß stauen und die Bevölkerung beim Einkaufen behindern konnten. Manchmal wurden auch noch Kerzen angezündet. Es waren seltsame Zeiten.

Nicht das erwachte Gespür für die unermeßliche Peinlichkeit des Rituals machte ihm schließlich ein Ende, sondern die Tatsache, daß die Raketen, die durch das Schweigen gebannt werden sollten, einfach trotzdem aufgestellt wurden. Die Schweigenden verliefen sich, hängten Bärte, Pullover und Parkas ab, wurden älter und vergaßen ihre Jugendtölpeleien.

Besonders ungern scheint sich die Politikerin Antje Vollmer an die Stunden zu erinnern, die sie einst im Schweigekreis vergeigte. „Sie ist ungefähr ein Dutzend Mal dabeigewesen“, sagt ein Zeuge ihres Schweigens, der Bielefelder Kunst- und Religionslehrer Hartmut Rexler (46), der früher selbst in der Friedensbewegung aktiv war. „Wir haben hier von 1981 bis 1983 jeden Dienstag vor der Nikolaikirche geschwiegen, mindestens eine Stunde lang. An die Teilnahme von Frau Vollmer erinnere ich mich genau. Sie hatte damals, glaube ich, einen Lehrauftrag an der Heimvolkshochschule Lindenhof in Bethel. Einmal habe ich sogar ihre Hand gehalten, und an der anderen Hand hatte ich Michael Vesper, der heute unser Landesbauminister ist. Den können Sie ebenfalls fragen.“

Zur Erinnerung an jene Zeit hat Hartmut Rexler ein wuchtiges Bronzerelief geschaffen. Die Aufschrift lautet: NIE WIEDER KRIEG! 1981 SCHWIEG AN DIESER STELLE ANTJE VOLLMER FÜR DEN FRIEDEN. FRIEDEN – PEACE –SCHALOM!

Links und rechts davon sind zwei Friedenstauben zu sehen, sichtlich keine flugtauglichen, wie Rexler eingesteht: „Am schwersten waren die Füße. Aber das soll ja auch kein großes Kunstwerk sein, sondern eine Mahnung, ein politisches Fanal. Frau Vollmer ist nun mal die Prominenteste von uns alten Friedensleuten.“

Seit 1997 will Rexler die Gedenktafel an der Nikolaikirche anbringen, doch die Evangelische Kirche und die zuständige Baubehörde haben sich quergelegt. Rexlers Briefwechsel mit Kirche, Ämtern und Kommunalpolitikern füllt mittlerweile sieben Aktenordner; die meisten Briefe sind allerdings Durchschläge von Rexlers eigenen. Zuletzt hat er brieflich direkt an Antje Vollmer appelliert. Geantwortet hat sie ihm nicht. Aber seither, sagt er, sei sein Leben nicht mehr dasselbe.

„Es gab eine anonyme Anzeige wegen Steuerhinterziehung“, berichtet Rexler. „Man hat mir nahegelegt, in den vorzeitigen Ruhestand zu treten. Meine Bank macht mir plötzlich Schwierigkeiten wegen eines Dispokredits. Die GEW will mich ausschließen, weil ich angeblich im Verzug mit meinen Mitgliedsbeiträgen bin. Selbst die DFG/VK hat sich öffentlich von mir distanziert. Alles innerhalb von einer Woche. Ich bekomme Drohanrufe, und in der Kunsthalle habe ich seit neuestem Hausverbot. Die Direktion behauptet, ich hätte randaliert. Ich habe nur Flugblätter verteilt, in denen ich meinen Standpunkt dargelegt habe.“

Und was hat das mit Antje Vollmer zu tun?

„Ich kann es nicht beweisen“, sagt Rexler, „aber ich bin mir sicher, das ist alles von ganz oben gefingert worden. Antje Vollmer will eben irgendwann Bundespräsidentin eines kriegführenden Staates werden, und da muß sie um jeden Preis ihre politische Vergangenheit vertuschen, auch auf Kosten ihrer früheren Freunde. Aber die Tafel bringe ich noch an. Ich schwör's.“ Gerhard Henschel

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