Exquisite Feministin von der Klosterschule

Die frühere Bundesvorstandssprecherin der Grünen, Regina Michalik, kandidiert als Berliner Parteisprecherin. Die 41jährige Diplompsychologin gilt als hartnäckig, konfliktfreudig und vermittelnd – eine Rolle, die sie auch in der Debatte um den Kosovo-Krieg einnimmt  ■   Von Dorothee Winden

Es begann mit einem Telefonanruf im März 1983. Die Grünen waren gerade zum ersten Mal in den Bundestag gewählt worden. Da meldete sich Bundesgeschäftsführer Lukas Beckmann in der Bonner Wohngemeinschaft von Regina Michalik. Die 24jährige hatte gerade ihr Psychologiestudium abgeschlossen und jobbte. Beckmann hatte einen Job: Die grüne Fraktion brauchte dringend eine Assistentin. Wenige Tage später stand sie im chaotischen Fraktionsbüro der Grünen und wurde „Mädchen für alles“. Michalik erinnert sich: „Zwei Wochen später kam ein Typ ins Büro, der nicht Bescheid wußte, und sagte: Wir bauen eine parlamentarische Geschäftsstelle auf.“ Der Typ war der Abgeordnete Joschka Fischer. „Er sagte: Du legst jetzt drei Ordner an. Auf den einen schreibst du Große Anfragen, auf den zweiten Kleine Anfragen und auf den dritten Schriftliche Anfragen. Mehr weiß ich auch nicht.“ Von Geschäftsordnungsfragen hatte Fischer noch keine Ahnung. Der Abgeordnete und seine Mitarbeiterin brüteten gemeinsam über den parlamentarischen Spielregeln und diskutierten. Das waren noch andere Zeiten.

Wie sieht sie Fischer heute? „Ich sehe nicht nur den Außenminister, ich sehe noch den Joschka Fischer von 1983, auch wenn er nicht mehr derselbe ist.“

Die Frau, die vor sechzehn Jahren ihre politische Karriere bei den Grünen als Aushilfskraft begann, bewirbt sich am 7. Mai bei der Landesdelegiertenkonferenz der Berliner Grünen als Landesvorstandssprecherin. Hinter dem umständlichen Titel verbirgt sich ein mäßig bezahlter Streßjob mit viel Verantwortung: Die Berliner Grünen haben einen schwierigen Wahlkampf vor sich. Der von Rot-Grün mitgetragene Kosovo-Krieg stellt nicht nur die Grünen, sondern auch ihre WählerInnen auf eine harte Probe. Noch liegen die Berliner Grünen in Umfragen stabil bei 13 Prozent. Doch angesichts einer schwächelnden SPD, die in Umfragen gegenwärtig nur noch 26 Prozent erreicht, scheint ein rot-grüner Wahlsieg zur Zeit äußerst fraglich.

Bislang ist die 41jährige Feministin die einzige Kandidatin, eine Gegenkandidatur ist recht unwahrscheinlich. Michalik, die sich nie einem Flügel zugehörig fühlte, kann auf Unterstützung des linken wie des Realo-Lagers rechnen. Ein halbes Jahr schon ist der Posten vakant, nachdem Birgit Daiber im Dezember zurücktrat und die Wahl einer Nachfolgerin im Februar scheiterte, weil die Parteilinke Ida Schillen nicht die nötige Mehrheit erhielt. Jetzt ist bei den Grünen Erleichterung spürbar, eine profilierte Kandidatin gefunden zu haben, die viel Erfahrung mitbringt und der auch Vermittlerqualitäten attestiert werden.

Vier Jahre lang gehörte Regina Michalik dem grünen Bundesvorstand an, seit 1984 zunächst als Beisitzerin, ab 1987 war sie zusammen mit Jutta Ditfurth und Christian Schmidt Vorstandssprecherin. Michalik, die aus der autonomen Frauenbewegung zu den Grünen kam, zog sich Ende 1988 vorübergehend aus der Parteiarbeit zurück. Damals baute sie die grünennahe Stiftung „Frauenanstiftung“ mit auf, in deren Vorstand sie zwei Jahre saß. Das nächste Projekt folgte auf dem Fuße: 1993 gehörte sie zu den Mitbegründerinnen der internationalen Frauenzeitschrift LOLApress, in deren Berliner Büro sie bis heute als Europa-Redakteurin und Projektkoordinatorin arbeitet.

„Mich hat nie nur eine Sache interessiert“, sagt Michalik, die in den letzten Jahren das Globale mit dem Lokalen verbunden hat. Kommunalpolitische Erfahrung hat sie seit 1995 als Mitglied der Reinikkendorfer Bezirksverordnetenversammlung gesammelt, in der die Grünen mit einer kleinen, fünfköpfigen Fraktion vertreten sind.

Die nächste Etappe sollte eine Kandidatur für das Europa-Parlament werden, doch sie erhielt keinen aussichtsreichen Listenplatz. Ein Glücksfall für die Berliner Grünen, die schon zuvor wegen einer Kandidatur für das Sprecheramt an sie herangetreten waren.

ParteifreundInnen beschreiben sie als „hartnäckig“, aber auch als ausgleichend. Die Frau mit der ruhigen, manchen sagen auch „hanseatischen“ Ausstrahlung, geht Konflikten nicht aus dem Weg. „Man kann sich heftig mit ihr streiten, am Ende steht aber stets ein Kompromiß“, sagt Oliver Schruoffeneger, der als grüner Fraktionschef in der Reinickendorfer BVV seit längerem mit ihr zusammenarbeitet.

Bei der Frauenvollversammlung der Grünen, wo sie sich am Samstag vorstellte, nahm sie den Saal gleich mit den ersten Sätzen für sich ein: „Ich bin auf eine Klosterschule gegangen, und ich kann euch sagen, das sind exquisite feministische Ausbildungsstätten.“ Der Saal lacht, es gibt spontanen Beifall.

Michalik ist im nordrhein-westfälischen Werl in unmittelbarer Nachbarschaft einer Wallfahrtskirche aufgewachsen. Die Familie ist christlich geprägt. Eine Alternative zur Nonnenschule gab es in der Kleinstadt nicht. Von der christlichen Erziehung ist ihr ein starkes Gerechtigkeitsdenken geblieben.

Leicht sei ihr die Entscheidung für die Kandidatur nicht gefallen, sagt sie vor der Frauenvollversammlung. „Letztlich ist es gerade die schwierige Situation der Grünen gewesen, die mich dazu bewogen hat.“ Die Nato-Luftangriffe auf das Kosovo haben bei ihr große Zweifel an der Politik ausgelöst. „Der Krieg war ein Fehler. Es war aber auch ein Fehler, sich zehn Jahre lang nicht um diesen Konflikt zu kümmern. Die Frage ist, wie man wieder aus dem Krieg herauskommt,“ sagt sie. Sie habe von Anfang an nicht geglaubt, daß dieser Konflikt mit militärischen Mitteln gelöst werden kann. Doch einen sofortigen und endgültigen Waffenstillstand, wie er von der Parteilinken gefordert wird, hält sie nicht für den Ausweg. Auch wenn sie der Parteilinken näher steht als den Realos, ist sie zu sehr Realistin, um sich für diesen Weg auszusprechen. „Man gibt damit das letzte aus der Hand.“ Ein befristeter Waffenstillstand stärke die Verhandlungsposition. Eine Haltung, für die sie vor der Frauenvollversammlung ebenfalls Beifall erhält. Doch ihre klare Position hält sie nicht davon ab, später in der Debatte um eine Kosovo-Resolution zwischen den Befürworterinnen eines endgültigen und eines befristeten Waffenstillstands zu vermitteln.

In ihrer Bewerbung schrieb sie treffend: „Seit meinem Beitritt bei den Grünen 1984 saß ich häufiger zwischen verschiedenen Strömungsstühlen – eine unbequeme Position. Diese rührt aus meiner Haltung, in jeder Sachfrage die Argumente verschiedener Seiten für mich zu prüfen.“