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Ein lauter Ruf nach der starken Nato

■ Die Anrainerstaaten von Jugoslawien pochen auf Schutz durch die Nato. Bulgarien und Rumänien drängen auf baldigen Beitritt zur Allianz, Albanien ist ein williger Vollstrecker jedweder Nato-Forderung, sagt der albanische Präsident Rexher Mejdani im taz-Interview

taz: Herr Präsident, die jugoslawische Armee verletzt immer wieder die Grenzen Albaniens. Befürchten Sie eine Ausweitung des Krieges?

Rexher Mejdani: Solche Provokationen gibt es schon seit mehreren Monaten. Wir haben dagegen nichts unternommen, um das Wesen dieses Konflikts nicht völlig zu verändern. Denn es geht nicht etwa um einen Krieg zwischen dem serbischen und dem albanischen Staat. Dies ist ein Konflikt zwischen der Politik der ethnischen Säuberung, der Deportation und des Völkermords auf der einen und Demokratie und der Respektierung von Menschen und politischen Rechten auf der anderen Seite. Es ist ein Konflikt zwischen Vergangenheit und Zukunft. Unsere Armee wäre durchaus imstande, auf jede Art von Angriff oder Intervention zu reagiern.

Der Ruf nationalistischer Gruppen nach einem Großalbanien wird lauter. Was können Sie dem entgegensetzen?

Eine solche Terminologie wird von der Belgrader Propaganda gebraucht. Es geht nicht um Großalbanien, sondern darum, die in internationalen Verträgen festgeschriebenen Rechte des albanischen Volkes im Kosovo zu respektieren. Deshalb haben wir vorgeschlagen, für eine kurze Zeit eine internationale Verwaltung, eine internationales Protektorat zu schaffen. Dort müßten internationale Streitkräfte unter Nato-Führung als Garantiemacht bzw. als Sicherheitskräfte stationiert sein, damit die Menschen wieder nach Hause zurückkehren können. Dann müßten UNHCR, Unicef, das Rote Kreuz und andere humanitäre Organisationen vertreten sein. Politisch und institutionell, etwa unter dem Dach der OSZE, müßten Kommunalwahlen organisiert und neue kommunale und staatliche Institutionen, funktionierende Verwaltungen und Gerichte geschaffen werden. Schließlich muß Aufbauhilfe geleistet werden. All diese Einzelaufgaben sollten für eine gewisse Zeit unter internationaler Hoheit stehen.

Kommt dann die Teilung des Kosovo oder der Anschluß an Albanien?

Auch das ist Belgrader Propaganda. Die endgültige Lösung muß auf der Grundlage völkerrechtlicher Übereinkommen und durch das kosovarische Volk getroffen werden. Denn wir versuchen in unserer Region eine multi-ethnische Gesellschaft, eine multi-ethnische Demokratie aufzubauen und nicht eine nur durch eine Volksgruppe gekennzeichnete Staatlichkeit.

Sie fordern, die UCK mit Waffenlieferungen zu unterstützen.

Die UCK kämpft innerhalb des Kosovo. Dabei geben junge Menschen ihr Leben hin, um Abertausende Albaner, die jetzt unter freiem Himmel, ohne Nahrung und ohne medizinische oder hygienische Versorgung leben müssen, zu beschützen. Deswegen müssen wir überlegen, wie wir diesen Menschen helfen können, aber besonders, wie wir diese humanitäre Katastrophe im Kosovo lindern können.

Sie haben beim Gipfel in Washington Verhandlungen mit Vertretern der Nato, dem IWF und der Weltbank geführt. Nächste Woche wird es eine Konferenz zur Hilfe für die Nachbarländer Jugoslawiens geben. Ist der militärische und wirtschaftliche Beistand für ihr Land ausreichend?

Internationale Organisationen und einzelne Länder einschließlich Deutschlands versuchen, Lebensvoraussetzungen für die Deportierten in Albanien, Montenegro und Makedonien zu schaffen. Nach Anfangsschwierigkeiten funktioniert das jetzt ziemlich gut. Doch jetzt müssen wir an eine Perspektive für das Kosovo und ganz Südosteuropa denken. Dafür brauchen wir einen Plan, zu dessen Ausarbeitung sich alle Staaten und internationalen Organisationen verpflichten sollten. Ich bin optimistisch, daß durch einen schnellen wirtschaftlichen Aufbau nationalistische Gefühle, Haß und Völkermord im Herzen Europas weniger wichtig werden. Das ist auch der richtige Weg, den Balkan wieder in Europa zu verankern.

Das Vorgehen der Nato stößt in Albanien durchweg auf Zustimmung. Eine Wochenzeitung nannte Albanien jüngst sarkastisch den 51. Staat der USA.

Das ist eine alte Geschichte. Hier handelt es sich um den Willen des gesamten albanischen Volkes, ausgedrückt und beschlossen vom albanischen Parlament. Albanien hat entschieden, positiv auf jedwede Anfrage der Nato zu reagieren. Und wir sind sicher, daß diese Institution, die die wichtigste für Sicherheit, Frieden und Stabilität darstellt, den Krieg gewinnt. Denn auf dem Spiel steht nicht nur die Zukunft des albanischen Volkes, des Balkans und Europas, sondern die Zukunft der ganzen Menschheit. Daher sind wir bereit, auf jedes weitere Verlangen der Nato zu reagieren und auch dafür Opfer zu bringen.

Sie haben Makedonien wegen seiner Flüchtlingspolitik kritisiert. Wie wollen Sie die Beziehungen zu Skopje entwickeln?

Die Makedonier haben behauptet, daß die Anwesenheit von deportierten Albanern aus dem Kosovo das ethnische Gleichgewicht im Land verändern würde. Eigentlich ist es doch unser aller Ziel, daß die Menschen so schnell wie möglich in den Kosovo zurückkehren können. Deshalb hielt ich diese Reaktion Makedoniens für falsch. Wir sind vollkomen an der Stabilität Makedoniens interessiert und werden entsprechend handeln .

Meldungen über kriminelle Vorfälle in Albanien bei der Verteilung von Hilfsgütern für die Flüchtlingslager häufen sich. Warum wird dagegen nicht entschlossener vorgegangen?

Da wird gewaltig Stimmung gemacht, und diese Manipulationen sind von den ewig gleichen antialbanischen Überzeugungen getragen. Nur 9 Prozent aller Hilfsgüter werden von der albanischen Regierung verwaltet. Die restlichen 91 Prozent fallen unter der Federführung des UNHCR der Verantwortung von verschiedenen Hilfsorganisationen zu. Interview: Andreas von Brandt

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