: „Liebe taz...“ Legehennen und Abschiebehaft –Betr.: „Rechtsbereinigter Raum Abschiebehaft?“ und „Regelvollzug oder Freigang im Stall“, taz vom 13. April 1999
taz vom 13.4.1999, Seite 11: „Regelvollzug oder Freigang im Stall“ – über die Legehennen vor dem Bundesverfassungsgericht; Seite 21: „Rechtsbereinigter Raum Abschiebehaft?“ – Bericht über die Tätigkeit des „Rechtshilfevereins“ in der Abschiebehaft. Und was beides miteinander zu tun hat? Die Mitgeschöpfe oder Insassen von Käfigen und Zellen können weder über die Bedingungen, unter denen sie dort untergebracht sind, mitbestimmen, noch die zugewiesenen Bereiche freiwillig verlassen.
Im Falle der Legehennen fand sich eine Landesregierung, die das Problem dem Bundesverfassungsgericht vortrug. Das Gericht hat nach nur zehn Jahren Bearbei-tungszeit – Schwupps! – über das Zusammenpferchen verhandelt.
Im Falle der Abschiebehaft wird sich keine Landesregierung finden, die entsprechend verfährt: Sie selbst verantworten durch die Innenministerien die Unterbringung. Und Verfassungsbeschwerden der Menschen, die sich in Abschiebehaft befinden, würden voraussetzen, daß Betroffene darüber informiert wären. Werden sie aber nicht.
Der Aufsatz von Christine Graebsch, über den die taz am 13.04.1999 berichtet hat, referiert im Detail die Widerstände des Wachpersonals, das heißt der verantwortlichen Polizeibeamten, gegen die Schaffung erträglicher Zustände in der Abschiebehaft.
Ob man von „Skandal“ sprechen und „erschüttert“ sein muß, weiß ich nicht. Was ich aber aus eigener Erfahrung bestätigen kann, ist, daß sich für die Verbesserung der Situation der Abschiebehäftlinge niemand in der Verwaltung interessiert: Die in die Abschiebehaft „abgeschobenen“ Polizeibeamten sind ohnehin demotiviert, weil diese Station in vielen Fällen das Ende der Karriere bei der Polizei bedeutet hat. Sie klagen über hohe Krankenstände, Personalmangel und „aufmüpfige“ Gefangene. Die senatorische Behörde nimmt die Klagen zur Kenntnis. Gelegentlich fanden in der Vergangenheit Gesprächsrunden über die Situation in der Abschiebehaft vor dem Ausländerausschuß der Bürgerschaft oder bei dem früheren Staatsrat des Innensenators statt. Verbessert hat sich nichts. Verwiesen wird auf den „baldigen Umzug“ der Abschiebehaft in das neue Polizeipräsidium in der Vahr – und dies seit Jahren.
Sozialarbeit findet nicht statt. Verdienstvolle ehrenamtliche Helfer, wie Christine Graebsch oder Ghislaine Valter oder die Asylgruppe Ostertor werden in ihrer ehrenamtlichen Arbeit vom Wachpersonal der Anstalt behindert. Nach außen „verkauft“ allerdings die senatorische Behörde die Tatsache, daß überhaupt ehrenamtlichen Helfern Zugang in die Haft gewährt wird, als „Liberalität“. Im übrigen findet „Sozialarbeit“ lediglich dadurch statt, daß ein DAB-Mitarbeiter Einkaufswünsche der Häftlinge (sie erhalten DM 13,- pro Woche) entgegennimmt und für sie zum Einkauf geht.
Die bremische Ausländerbeauftragte hatte 1996 ein Faltblatt erarbeitet, in dem die Häftlinge über ihre Situation informiert und auf ihre rechtlichen Möglichkeiten hingewiesen wurden. Das Blatt wurde in acht Sprachen übersetzt. Unmittelbar nach dem Druck verschwand es (in wessen Schublade?).
Der frühere Staatsrat des Innensenators bot in einer der Gesprächsrunden an, aus eigenen Mitteln einen Basketballkorb zu stiften. Auch dies stieß auf den Widerstand der Beamten. Einige Zeit später wurde der Staatsrat abge-, nein – nicht –schoben, sondern –rufen, wenn auch aus anderen Gründen. Den Basketballkorb gibt es bis heute selbstverständlich nicht.
Ein Amalgam von Beamten-ignoranz, gezieltem Wegschauen und schlichter Bräsigkeit haben schlechte Zustände verursacht. An einer Verbesserung im Sinne einer Veränderung ist behördlicherseits niemandem gelegen. Wähler sind es ohnehin nicht, die dort inhaftiert sind. Im Gegenteil muß ein Politiker, der Engagement für Abschiebehäftlinge zeigt, befürchten, auf hintere Listenplätze seiner Partei abgeschoben zu werden – siehe die Kandidatenliste der „Grünen“.
Weder in der vergangenen Legislaturperiode der Bürgerschaft, noch im Wahlkampf ist Abschiebehaft ein Thema. Dabei sollte gerade diese Haft mit Blick auf die deutsche Geschichte (bis 1996 wurde sie in ehemaligen Gestapo-Zellen vollzogen) und den 50. Jahrestag des Grundgesetzes im Hinblick auf den Inhalt des Begriffs „Menschenwürde“ gesehen werden. Als Ulrike Meinhoff noch Journalistin war, veröffentlichte sie ein Buch mit dem Titel „Die Würde des Menschen ist antastbar“. Daß dies auch heute noch wahr ist, belegen die Schilderungen von Christine Graebsch. Dafür ist ihr und der taz für die ausführliche Berichterstattung zu danken.
Dr. Holger Hoffmann
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