: Zauberformel für Südosteuropa
Große Hoffnungen in den Balkan-Stabilitätspakt setzen Länder wie Bulgarien oder Rumänien. Sie fordern Hilfe bei der EU-Integration ■ Aus Bukarest Keno Verseck
Was zehn Jahre eines schmerzhaften und oftmals erfolglosen Reformprozesses in Südosteuropa nicht geschafft haben, könnte nun der seit einem Monat andauernde Krieg gegen Jugoslawien bewirken: Umfangreiche Hilfe des Westens für eine krisenhafte und sozial verelendete Region.
„Marshall-Plan für den Balkan“, heißt die Zauberformel, in die Politiker südosteuropäischer Länder nach dem Washingtoner Nato-Gipfel nun große Hoffnungen setzen. „Die Armut ist der gemeinsame Grund aller Probleme auf dem Balkan“, sagte der bulgarische Ministerpräsident Ivan Kostov am Montag einer bulgarischen Tageszeitung. „Wenn der Westen sich dessen bewußt ist, dann muß er gegenüber den südosteuropäischen Ländern mit demokratischen Regierungen politische Großzügigkeit zeigen.“
Solche Großzügigkeit erwarten südosteuropäische Länder vom „Balkan-Stabilitätsplan“, der auf dem Washingtoner Nato-Gipfel angekündigt wurde und über den Ende Mai verhandelt werden soll. Eingeschlossen wären die Balkanländer Kroatien, Bosnien-Herzegowina, Makedonien und Albanien sowie die drei EU-assoziierten Staaten Slowenien, Rumänien und Bulgarien. Bei der Hilfe soll es zum einen darum gehen, die regionale Sicherheit dieser Länder und die internen demokratischen Strukuren zu stärken, zum anderen darum, sie für die ökonomischen Verluste durch den Krieg gegen Jugoslawien zu entschädigen und zum Wiederaufbau bzw. zur Stabilisierung ihrer Volkswirtschaften beizutragen.
Letzteres wäre für die betroffenen Länder zweifellos der bedeutendste Aspekt. Von den exjugoslawischen, kriegszerstörten Ländern hat allein Slowenien eine Rekonstruktion seiner Volkswirtschaft bewältigt und einen ökonomischen Aufschwung erzielt, der jedoch derzeit durch den Krieg gefährdet ist. So etwa erwartet Slowenien, ähnlich wie auch Kroatien, hohe Einnahmeausfälle im wichtigen Tourismusgeschäft.
Durch die Kriege in Exjugoslawien sind auch Rumänien und Bulgarien seit Jahren empfindlich betroffen. Die direkten Verluste durch das Embargo gegen Jugoslawien in den Jahren 1992 bis 1995 werden in Rumänien auf mehr als sechs, in Bulgarien auf mehr alszehn Milliarden Mark geschätzt.
Derzeit muß durch den Nato-Angriff auf Jugoslawien vor allem Bulgarien mit großen Wirtschaftsverlusten rechnen. Seine traditionellen Außenhandels-Transportwege zu Land, zu Wasser und in der Luft sind abgeschnitten, es muß daher auf den teuren Umweg über Rumänien zurückgreifen. Bulgariens Verluste könnten monatlich bis zu 260 Millionen Dollar monatlich betragen, wenn der Krieg länger andauern wird, haben bulgarische Wirtschaftsexperten berechnet. Rumänien gibt seine Verluste dagegen derzeit mit 50 Millionen Dollar monatlich an.
Viel höher könnten jedoch in Zukunft die indirekten Wirtschaftsverluste sein. Allgemein erwarten Wirtschaftsexperten für südosteuropäische Länder ein geringeres Wirtschaftswachstum und ausbleibende Auslandsinvestitionen. Gerade letztere wären jedoch für die südosteuropäischen Volkswirtschaften wichtig, weil sie kaum über eigene Ressourcen verfügen.
Internationale Finanzorganisationen wie der IWF und die Weltbank wollen deshalb in Zukunft bei der Unterstützung von Balkan-Ländern verstärkt zusammenarbeiten und mehr Kredite unter gelockerten Bedingungen an die Länder der Region vergeben, wie der IWF-Direktor Michel Camdessus am Wochenende in Washington sagte. Umgekehrt stellt zum Beispiel Bulgarien nicht die Forderung nach neuen Krediten, sondern nach einer Schuldenumstrukturierung, damit der Schuldendienst den Staatshaushalt weniger belastet.
Darüber hinaus fordern südosteuropäische Politiker, vor allem in Bulgarien und Rumänien, auch, daß ihre Länder stärkere Hilfe bei der Integration in die EU erhalten und mit den mittelosteuropäischen Staaten gleichbehandelt werden. „Leider“, so sagte der rumänische Staatspräsident am Wochenende in New York während eines Vortrages, „existiert gegenüber Südosteuropa nur eine Art liebenswürdiger Gleichgültigkeit“.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen