: Lieber Slobo, bitte mach' bald Frieden!
■ Gregor Gysi will Slobodan Milosevic mit einem Brief beeindrucken. Der PDS-Fraktionschef appelliert an den jugoslawischen Präsidenten, die Vertreibungen im Kosovo sofort zu unterbinden
Gregor Gysi will Slobodan Miloevic jetzt offensichtlich mit einem Brief zum Frieden bewegen. Der PDS-Fraktionschef bittet den jugoslawischen Präsidenten in einem siebenseitigen Schreiben von gestern eindringlich, er möge doch die Zustimmung zu einer UN-Friedenstruppe nach der Charta der Vereinten Nationen – ohne Beteiligung der angreifenden Nato-Staaten – erteilen.
Gysis Brief („Sehr geehrter Herr Präsident“) geht auf den Besuch des PDS-Politikers bei Miloevic am 14. April in Belgrad zurück. In dem Gespräch hatte der jugoslawische Präsident behauptet, es gäbe keine Vertreibungen oder andere Verbrechen gegen die Menschlichkeit an den Kosovo-Albanern. Gysi würde der einseitigen Medienberichterstattung in Deutschland aufsitzen. Das wollte der PDS-Politiker nicht auf sich beruhen lassen und kündigte an, selbst nach Albanien zu reisen und mit Flüchtlingen zu sprechen. Er sicherte Miloevic zu, ihn anschließend informieren zu wollen.
Gesagt, getan. Gysi fuhr Mitte April nach Albanien, sah sich in den dortigen Flüchtlingslagern um, sprach mit Kosovo-Albanern, und siehe da: Die Hunderttausende von Albanern sind ja gar nicht auf der Flucht vor den Nato-Bomben, wie Miloevic dreist behauptet hatte, sondern vor der jugoslawischen Armee und Polizei. Gysi stellte nach seinem Besuch überrascht fest, was ohnehin die ganze Welt weiß: „Miloevic lügt“. Gestern nun schickte er seinen Brief nach Belgrad hinterher.
Er schildert darin ausführlich die Gespräche mit zwei Albanern, die aus dem Kosovo vertrieben worden sind. Danach würde sich für ihn, so schreibt Gysi an Miloevic, folgender Eindruck ergeben: Bis zu Beginn der Nato-Bombardierungen seien die Menschen wegen der Kämpfe zwischen der jugoslawischen Armee und der UÇK aus dem Kosovo geflohen. „Aber zu dieser Zeit gab es offenkundig noch keine ethnischen Säuberungen oder systematischen Vertreibungen im Kosovo“, so Gysi. Dafür sprächen die wesentlich geringere Zahl von Flüchtlingen sowie die Lageberichte des deutschen Außenministeriums und die Urteile deutscher Verwaltungsgerichte. Darin seien bis März 1999 Vertreibungen und ethnische Säuberungen ausdrücklich bestritten worden. Diese Erkenntnisse verdankt Gysi übrigens, wie er Miloevic schreibt, dem „Rat eines leitenden Mitarbeiters Ihres Außenministeriums“; der hatte ihm den Tip mit den Lageberichten des Auswärtigen Amtes gegeben.
Nichtsdestotrotz stehe für ihn fest, so Gysi in dem Brief, daß der Beginn der Nato-Bombardierungen von Miloevic dazu genutzt wurde, massenhaft und systematisch Kosovo-Albaner zu vertreiben. „Es verdichten sich auch die Hinweise auf Massaker.“ Das mache aus seiner Sicht die Bombardierungen durch die Nato allerdings noch sinnloser und schädlicher. Am Ende seines Briefes appelliert Gysi an den jugoslawischen Präsidenten, „jegliche Vertreibung und Schlimmeres im Kosovo unverzüglich zu unterbinden“. Miloevic müsse die friedliche und sichere Rückkehr der Flüchtlinge garantieren. „Für eine Antwort“, so Gysi, „wäre ich Ihnen dankbar.“ Jens König
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