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Schatzkammer und Hölle

■ Vor dem Film schnell Schrumpfköpfe und Bandwürmer kucken: Das legendäre Magazin des Bremer Überseemuseums wurde gestern als „Übermaxx“ unter einem Dach mit dem Großkino „CinemaxX“ eröffnet

Was wurde nicht alles geraunt über die Schätze des Überseemuseums-Magazins – Berge an Gold und edlem Geschmeide, wundersamste Mitbringsel Bremer Kaufleute aus fernen Ländern, Sagenhaftes ohne Ende ... Wie bei den meisten Museen dieser Welt üblich, durften stets nur Auserwählte im Magazin rumschnüffeln. Und als der Altbau neben dem Überseemuseum, in dem einst die Staatsbibliothek war, auch noch mit DDT gegen Motten etc. vergiftet war, durften sogar nur noch Notdienstler in Schutzkleidung das Schattenreich der 100.000 Einzelstücke betreten. Doch ab sofort kann jedermann selbst beurteilen, ob der Mythos hält, was man sich von ihm versprach: Anstelle des alten Magazins entstand vor einem Jahr ein fensterloser Trumm, in dem erst das Großkino „CinemaxX“ einzog und nun auch das „Übermaxx“ residiert – gestern abend nämlich öffnete das weltweit größte öffentlich begehbare Schaumagazin seine Pforten.

Ja, es ist eine Schatzkammer. Und eine Hölle ist es auch. Und insbesondere nicht zu fassen: An die 30.000 Exponate aus der natur- und der völkerkundlichen Sammlung des Museums werden auf drei Etagen, von deren Existenz der gemeine Kinobesucher bisher nicht einmal ahnte, in aller Pracht ausgebreitet. 700 Paar Schuhe aus diesem und dem letzten Jahrhundert, Schwerpunkt China; Hüte, Hüte, Hüte; bronzene Kanonen und rituelle Gefäße aus Brunei; Schrumpfköpfe aus Nordamerika; Schiffsmodelle; reichverzierte Puppen aus Japan; vorchristliche Trinkgläser; kleine steinerne Köpfchen, von Archäologen im Staub der „Seidenstraße“ gefunden; 17 Meter lange Boote. Alles, was nicht niet- und nagelfest war, haben Kaufleute, Forschungsreisende und Missionare mitgehen lassen (und manchmal sogar bezahlt). Dazu kommen rund eine halbe Millionen Insekten und etliches anderes Getier und Gepflanz, daß man schließlich meint, die ganze Welt sei hier anhand von Originalen belegt. Zumindest wird man erschlagen.

Das Übermaxx ist ein typisches Cross-over-Projekt. Allein die Finanzierung: 34 Millionen insgesamt, fünf Millionen gab Kinomann Flebbe für das CinemaxX-Grundstück, dazu kamen Sponsorengelder, neun Millionen von der Stiftung Wohnliche Stadt und 18 Millionen direkter Staatsknete. Und dann die ziemlich ungewöhnliche Mischung von Kino und Museum. Zwar sind die Gebäudeteile theoretisch separat abreißbar (vom Magazin würde ein komisches „L“ übrigbleiben, die malerische Gruppe aus einem mit einem Riesentintenfisch kämpfenden Walskelett hinge im Freien) – doch beide Nachbarn hoffen auf eine gedeihliche „Win-win“-Beziehung. Schulklassen im Magazin? Findet Flebbe klasse, sie kreuzen ja das Kinofoyer. Und was tun die Massen, die abends auf den Filmstart warten? Auf einen Sprung rüber ins Übermaxx, hofft Viola König, Museumschefin. Drum bleibt das Magazin bis 23 Uhr geöffnet, und der Kinobesucher bekommt für drei Mark Aufpreis eine Kombikarte.

An dieser Stelle eine Warnung: Wir Museumsgänger sind es gewohnt, durch Ausstellungen auf einer Welle multimedial-museumspädagogischen Wohlmeinens getragen zu werden. Sinnstiftende und orientierende Erläuterungstafeln, Videoclips und ordentlich was auf die Ohren und mit Glück noch Fußmassagematten – so soll es sein. Im Magazin dagegen bewegt man sich wie durch die Asservatenkammer einer Kreispolizeibehörde oder durch einen strichcode-sortierten Lebensmittel-Großhandel – alles ist da, nichts ist erklärt. Man wird entweder völlig kirre. Oder man verguckt sich in eine dicke südpazifische Kröte in Alkohol. Das wäre wahrlich ein Zugang.

Der wissenschaftliche Laie hat grundsätzlich zwei Möglichkeiten des vertieften Zugriffs. Entweder er streunt umher, entdeckt einen ziemlich langen Wurm im Glas, merkt sich die Registriernummer und eilt zu einem herumstehenden Computer. Da liest er vielleicht: Bandwurm, 8,10 Meter lang, aus einem Rind. Oder er interessiert sich aus Anlaß der anstehenden Konfirmation seines Neffen für Initiationsriten. Findet im Computer afrikanische Initiationsmasken aus Tansania, schwarz, eingearbeiteter Lippenpflock, Zähne aus Bein, Schlitzaugen mit Pupille, Standort S 521/1. Das heißt Vitrine Nummer 521, unterstes Regal. Auf dem Weg zum Regal kommt er an einem supersüßen Krokodilchen vorbei, wo er hängen bleibt.

Eine „multimediale Erschließung der Objekte“ (Hörbeispiel burmesische Dreilochflöte etc.) ist erst langfristig geplant, eine Führung kann aber schon jetzt für insgesamt 60 Mark gebucht werden. Ansonsten ist der Spaß noch billig – das Sechsmarksticket für Überseemuseum schließt das Schaumagazin mit ein. BuS

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