: Internet-Verfahren eingestellt
■ Chef von Internet-Firma „isb“ wegen Volksverhetzung vor Gericht / Auf Gästebuchseite war ein fremder, antisemitischer Text veröffentlicht worden
Wer ist für rechtsradikale Propaganda verantwortlich, die in einem Gästebuch eines linksalternativen Internet-Projektes auftaucht? Das Amtsgericht hat am letzten Freitag die Chance vertan, grundsätzlich darüber zu entscheiden, wie mit der neuen Internet-Meinungsfreiheit umzugehen ist. Denn bislang gibt es in Deutschland Unklarheit darüber, wann ein Internet-Betreiber für illegale Inhalte verantworlich gemacht werden muß, die durch seinen Computer geflossen sind.
Das Verfahren gegen den Geschäftsführer der Bremer Internetfirma „isb“, Ralf Röber, wurde eingestellt. Röber war Volksverhetzung vorgeworfen worden, da auf der Gästebuch-Seite des vielgelobten Internet-Projekts „Internationale Stadt Bremen“ letzten Sommer ein antisemitischer Text eines Surfers veröffentlicht worden war. „Wer den Juden schont, der versündigt sich am eigenen Volk“, war da unter anderem zu lesen. Und: „Die Judengegnerschaft ist eine Sache der persönlichen Sauberkeit.“ Die isb-Bremen hatte die Tirade nicht aus dem Netz gekickt und zwei Sätze vorausgeschickt: Das folgende sei rechtsradikale Propaganda. Wer Informationen zum Holocaust haben wolle, solle die Seiten des anerkannten Nizor-Projekts besuchen.
Die SPD-Bürgerschaftsabgeordnete Cornelia Wiedemeyer war beim Surfen über den Gästebucheintrag gestolpert. Von den offiziellen Bremen-Seiten (www.bremen.de) war sie einem Verweis („Link“) gefolgt, der sie zur Startseite der Internationalen Stadt (www.is-bremen.de) beförderte. Beim Weiter-klicken in das Gästebuch entdeckte sie die Hetztirade. Wiedemeyer war so erzürnt, daß sie eine Senats-Anfrage für die Bürgerschaftssitzung vorbereitete. Ob eine solche Tirade nicht unterbunden werden müsse, fragte sie an. Und ob für die Zukunft sichergestellt werden könne, daß nicht mehr auf solche Tiraden zugegriffen werden kann. Doch als die zuständige „Senatskommission für das Personalwesen“ im Internet nachschaute, war der Eintrag schon gelöscht. Der Entwurf für die Antwort fiel so dürftig aus, daß Wiedemeyer ihre Frage zurückzog.
Als die taz den Fall nachrecherchierte, leitete die Staatsanwaltschaft Ermittlungen ein. Die Anklage gegen Geschäftsführer Röber lautete auf „Volksverhetzung“. Röber, weit vom Verdacht entfernt, selbst ein Antisemit zu sein, vertrat die Position, daß die Meinungsfreiheit im Internet noch einer generellen Regelung bedarf. Er erhoffte sich durch den Prozeß eine Klärung, wie mit illegalen Inhalten umgegangen werden muß.
Doch wie in solchen Fällen grundsätzlich zu verfahren ist, wollte die Staatsanwaltschaft gar nicht wissen. Dafür hätte sie das erst zwei Jahre junge Teledienstgesetz (TDG) bemühen müssen, und dafür gibt es offenbar in Bremen noch keine Experten.
Zweimal wurde in Deutschland bisher versucht, die Meinungsfreiheit im Internet einzugrenzen. Die PDSlerin Angela Marquardt soll im Herbst 1996 einen Link von ihrer Homepage auf die Seiten der verbotenen Zeitschrift radikal gelegt haben. Und der Chef des Internet-Providers CompuServe, Felix Somm, wurde vom Münchener Amtsgericht im Mai 1998 verurteilt, weil er Kinderpornos mit den Computern seiner Firma verfügbar gemacht haben soll.
Laut dem Teledienstgesetz ist ein Internet-Dienstanbieter für Inhalte nur dann verantwortlich, wenn „sie von diesen Inhalten Kenntnis haben, und es ihnen technisch möglich und zumutbar ist, deren Nutzung zu verhindern“. Bei den anfallenden Datenmengen stellt dies die Provider allerdings schnell vor fast unlösbare Probleme. Deutschland hat mit diesem Gesetz als erstes Land eine Zensur im Internet möglich gemacht.
In dem Verfahren vor dem Amtsgericht Bremen wollte der Rechtsanwalt des Angeklagten Röber eigentlich einen sauberen Freispruch erreichen. Zu schlecht vorbereitet sei der Prozeß, Beweismittel viel zu spät vorgelegt worden. Zweimal habe er im Vorfeld um die Einstellung des Verfahrens gebeten. Auch die Staatsanwaltschaft wollte den leidigen Prozeß vom Hals haben, doch ein Freispruch sei aus rechtlichen Gründen nicht möglich. Um eine Prozeß-Blamage zu verhindern, wollte der Staatsanwalt lieber neue Zeugen laden, um zu klären, ob Röber die Zensierung des antisemitischen Beitrags versäumt habe.
Der Rechtsanwalt des Angeklagten geriet in Rage. „Ihre Strategie ist doch“, sagte der Rechtsanwalt zum Staatsanwalt, „durch möglichst viele Verhandlungstermine eine Einstellung statt eines Freispruchs zu erzielen.“ Um keine Endlos-Verhandlung zu führen, stimmte er der Einstellung dann doch zu. Das Problem freilich – wer ist für eine Zensur im Internet verantwortlich – wurde damit nur vertagt. Christoph Dowe
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