: Kunst hat keine Lobby
Kurz vor Beginn der ersten großen Ausstellung ist die Zukunft des Martin-Gropius-Baus weitgehend unklar ■ Von Ulrich Clewing
Am 23. Mai, dem Tag, an dem vor fünfzig Jahren das Grundgesetz verkündet wurde und der seither als Gründungsdatum der Bundesrepublik gilt, ist es soweit. Dann wird im frisch renovierten Martin-Gropius-Bau die Ausstellung „Einigkeit und Recht und Freiheit“ eröffnet, mit der sich Berlin vor der Bundesrepublik Deutschland verneigt. Ein halbes Jahrhundert, das ist doch nicht nichts, da kann man was lernen, speziell die 18 Millionen Neubürger, die vierzig Jahre lang zuschauen mußten. Andererseits, tröstlich genug: Es geht vorüber, die nächste Ausstellung kommt bestimmt.
Und das ist das Problem. Was in Zukunft mit dem Martin-Gropius-Bau geschieht, ist nach achtzehn Monaten sanierungsbedingter Denkpause noch völlig unklar. Natürlich gibt es Pläne, die nächsten drei, vier Ausstellungen sind fest gebucht. Aber wer das Gebäude auf lange Sicht verwaltet, wer dort für das Programm zuständig sein wird, darüber sind derzeit nur widersprüchliche Absichten und Wünsche zu hören.
Vor kurzem überraschte der Berliner Kultursenator Peter Radunski mit der Ankündigung, das ehemalige Kunstgewerbemuseum künftig unter die Obhut der Festspiel GmbH zu stellen. Diese Gesellschaft mit beschränkter Haftung ist eine Art kultureller Gemischtwarenladen Berlins, ein Überbleibsel aus Mauerzeiten, als jede schöngeistige Regung in Berlin (West) für den Selbstbehauptungswillen eines ganzen politischen Systems stand. Die von Bund und Land zu gleichen Teilen finanzierte Festspiel GmbH sorgt beispielsweise für den reibungslosen Ablauf der traditionell im Februar stattfindenden Filmfestspiele, organisiert das Theatertreffen, sie ist aber auch zuständig für Ausstellungen wie die kontrovers aufgenommene Schau „Deutschlandbilder“, die zuletzt im Martin-Gropius-Bau zu sehen war.
Man könne, wegen der Erfahrung, die Ulrich Eckhardt mitbringe, nicht auf das Know How des Leiters der Festspiele GmbH im Umgang mit dem Martin-Gropius-Bau verzichten, sagt Radunski. Mehr als eine bessere Hausmeisterfunktion will er dem altgedienten Kämpen allerdings nicht zugestehen. Aufgabe der Festspiel GmbH sei es, das Haus „spielfertig“ zu halten. Das Programm indes soll von einem eigenständigen Kuratorium ausgewählt werden, in dem Vertreter der Berliner Staatlichen Museen Preußischer Kulturbesitz, des Deutschen Historischen Museums und der Bundeskunsthalle in Bonn sitzen. Ein Kuratorium, das ist wohl der Gedanke, macht sich immer gut, das klingt nach Pluralismus, Transparenz und überprüfbaren Entscheidungen.
Schön wär's. Wahrscheinlicher aber ist ein anderes Szenario: Der Kuchen wird nach dem Prinzip des Interessenausgleichs verteilt, und wenn etwas schief gehen sollte, dann ist es hinterher keiner gewesen. Die fehlende Verantwortlichkeit, die bisher schon das Gebäude und seine Substanz schwer leiden ließ seit der großen „Preußen“-Ausstellung von 1980 (die damals übrigens auch von der Festspiel GmbH veranstaltet wurde), dürfte damit nicht beseitigt werden, sondern würde vielmehr - sozusagen institutionalisiert - fortgeschrieben.
Auch ist das ominöse Kuratorium nicht so frei, wie es auf den ersten Blick scheinen möchte. Überwiegend „historische und kulturhistorische“ Ausstellungen sollen es sein, die Radunski im Martin-Gropius-Bau sehen will: „Beispielsweise“ aus Anlaß von Staatsbesuchen könnten dort „Kulturprogramme und Ausstellungen aus den jeweiligen Ländern“ gezeigt werden. Staatsfolklore ist ein häßliches Wort, dürfte es aber doch wohl treffen. Finanzieren soll das 30 Millionen Mark teuere Ganze fürderhin der Bund, und zwar zu aufgestockten 90 Prozent. Über den Rest, so Radunski, könne man immer mit ihm reden. Das wird auch nötig sein: Offenbar ist der Berliner Kultursenator mit seinen Plänen einsam vorgeprescht. Jetzt muß bei den Verhandlungspartnern auf Seiten des Bundes erst wieder „der ganze Psychoschrott“ (so ein Beteiligter) beiseite geräumt werden. Das kann dauern.
Vor dem Umbau sah die Sache noch ganz anders aus. Da hieß es, den Martin-Gropius-Bau zur „zweiten Bundeskunsthalle“ zu befördern und als internationales Kunst- und Ausstellungszentrum zu etablieren, um sich in den Kreis der wirklich wichtigen Ausstellungsorte (und Hauptstädte) London, Paris oder Washington einzureihen. Dieser Institution sollte ein Intendant vorstehen, einer wie Christoph Vitali, Leiter des Münchner Hauses der Kunst, der sowohl eigene Ausstellungen inszeniert, als auch bedeutende Übernahmen nach Berlin zu holen imstande ist. Besonders letzteres stellt sich nicht so einfach dar, schließlich wollen die Gepflogenheiten des internationalen Leihverkehrs beachtet werden. Um Leihgaben zu bekommen, ist es nötig, daß es einen Verantwortlichen gibt, dessen Wort in der Kunstwelt Gewicht hat, einen Ansprechpartner, der auch Gegenleistungen bieten kann - und damit sind nicht nur Schecks gemeint, sondern Verbindungen, Einfluß, weiterführende Kontakte.
Vielleicht aber steht hinter Radunskis Vorschlag auch gar kein inhaltliches Konzept, sondern das Diktat öffentlich-rechtlicher Personalpolitik. Denn daß die Festwochen, bisher Hauptaufgabe für Ulrich Eckhardt und die seinen, im Jahr 2000 zum letzten Mal stattfinden, ist bereits beschlossene Sache. Wenn Eckhardt nun den Gropius-Bau übernimmt, und auch nur, um ihn immer wieder weiterzureichen, dann hätte ein gutdotierter Angestellter das ihm per Arbeitsrecht zustehende neue Amt.
Kritik an den Plänen ist bisher höchstens in Spurenelementen wahrnehmbar. Kunst hat keine Lobby. Doch das ändert nichts daran, daß Berlin ein Haus für große Wechselausstellungen braucht. Die staatlichen Museen scheiden aus, sie platzen aus allen Nähten. Der Wunsch ist keine irre Hauptstadtphantasie: Hamburg hat die Deichtorhallen, München das Haus der Kunst, Frankfurt die Schirn, sogar das kleine Tübingen trumpft regelmäßig auf mit seiner Kunsthalle.
Das bedeutet nicht, daß man in Berlin in Zukunft auf historische Ausstellungen wird verzichten müssen. Im Herbst nächsten Jahres wird das Jüdische Museum eingeweiht, zur selben Zeit dürfte auch Peter Zumthors Topographie des Terrors in unmittelbarer Nachbarschaft des Martin-Gropius-Baus fertig werden. In drei Jahren soll die Erweiterung des Zeughauses Unter den Linden, für die der Stararchitekt I.M. Pei engagiert wurde, vollendet sein. Das sind sie, die Orte für Historisches, und wenn's denn sein muß, auch für „Kulturhistorisches“. Einziges Manko: Alle drei Institutionen haben schon Direktoren.
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