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Die Debütmaschine

Wenn Verlage zu sehr mogeln: Christoph Peters, Karen Duve und Marcus Braun wurden in diesem Frühjahr für ihre literarischen Debüts gelobt – dabei erschienen ihre ersten Bücher schon vor Jahren in kleinen Verlagen. Und die sind meistens die Dummen  ■   Von Susanne Messmer

Das deutsche Verlegerherz ist zur Zeit von einer übermächtigen Zwangsvorstellung beseelt. Vorwärts geht's! Überall unkt es, die deutsche Literatur habe Oberwasser, werde nun endlich leserlich und Gott sei dank auch immer jünger. Die größeren Verlage fürchten um ihr Renommee, wenn sie nicht pro Büchersaison mindestens einen Debütanten ins Programm pressen. Blitzkarriere leichtgemacht: Glatt könnte man auf die blöde Idee kommen, eigentlich nur schreiben und unter Dreißig sein zu müssen, um binnen kurzem als ultimative literarische Neuentdeckung gefeiert zu werden. Aber die Ressourcen werden langsam knapp, denn selbst im etwas schnarchnasigen Buchgewerbe gilt dieser Trend nun auch nicht mehr als der neueste. Woher ihn also nehmen und nicht stehlen, den frischen Wind?

In diesem Bücherfrühling ist nun auch den hysterischen Medienmühlen bei mindestens drei neuen Debüthelden des literarischen Sternenhimmels entgangen, daß die eigentlich schon seit Jahren veröffentlichen. Sowohl Christoph Peters mit „Stadt Land Fluß“ als auch Karen Duve mit ihrem „Regenroman“ und Marcus Braun mit „Delhi“ haben in diesem Frühjahr zwar ihren ersten Roman hingelegt, von ihren schönen Erzählungen, die vor drei bis vier Jahren in Kleinverlagen erschienen sind, war aber fast nirgends die Rede.

Die Lorbeeren der Forscher und Finder sind nicht nur ruhm-, sondern auch ertragreich, das weiß jeder. Darum haben die drei etablierten Verlage dieser Autoren geschickt unterschlagen, daß diese eigentlich den Kleinverlegern zustehen würden. Sie haben bisher Erschienenes gar nicht oder nur teilweise in Klappen- und Pressetexten erwähnt oder schlau versteckt. Spricht man sie darauf an, reden sie sich meist auf das mangelhafte Lektorat dieser jetzt schon alten Bücher heraus. Eigentlich gibt es dafür aber keine Gründe.

Karen Duves 1995 in der kleinen Hamburger Achilla Presse erschienene Erzählung „Im tiefen Schnee ein stilles Heim“ steht ihrem Roman weder in ihren boshaften, detailversessenen Alltagsbeobachtungen noch in der düster trockenen Komik in etwas nach. Im „Regenroman“ geht es um ein erfolgloses, biederes und durchschnittliches Ehepaar, das im Kampf gegen Dauerregen, Wasserleichen, schleimige Schnekkenplage und saugenden Sumpf rund ums frischerworbene Landhaus nach und nach unterliegt. Vor allem vom Effekt der Verzerrung lebt dieses süffige Buch, vom Schrecken, der sich einstellt, wenn man das Näschen der Geliebten unter dem Vergrößerungsgläschen zu genau beschaut. Und das ist auch die Eigenheit der ebenso bekömmlichen wie bösen Erzählung Karen Duves bei Achilla Presse, in der eine auszieht, das Fürchten zu lernen, nämlich vor den „unangenehmsten Stücken der Gegenwart“, vor Männern mit häßlich abstehenden Penissen zum Beispiel.

Auch Christoph Peters' Erzählung „Heinrich Grewents. Arbeit und Liebe“ braucht vor seinem gelobten Roman über das Leben und Sterben in der Provinz nicht rot zu werden. Statt des Scheiterns eines verdrehten Kunsthistorikers schildert Peters das eines grauen Büroangestellten, schreibt aus etwas größerem Abstand, dadurch sicherer und etwas farbloser. Trotzdem ist auch diese Erzählung eine schauerlich schöne, eine makabre Milieustudie: Heinrich Grewents hat einen Wandhalter für feuchtes Toilettenpapier entwickelt, er liebt es, seiner Sekretärin zu diktieren und wochenends den Rasen zu pflegen – ein Gruselpaket voll deutscher Piefigkeit, ein Brummkreisel aus Angstschweiß und gemeinem Alltag, aus dem es, einmal drin, so schnell kein Entrinnen mehr gibt: so gut wie Joel Coens „Fargo“ und Vincent Gallos „Buffalo 66“.

Selbst Marcus Braun hat in seinen Prosafragmenten „Ohlem“ bereits den Reiz seines ersten Romans angemeldet. Schon hier traktiert er den Leser mit seinem aufgeschnappten Halbwissen, spielt schick mit seinen Nerven und gibt ihm nicht nur das Rätsel auf, wer eigentlich wen ermordet, wann, warum und ob überhaupt. Außerdem bleibt einem auch hier bereits vollkommen schleierhaft, warum man sich dieses unverschämte Verwirrspiel überhaupt gefallen läßt und wie es sein kann, daß daraus sogar die unglaublichsten und schönsten Glücksmomente hervorblitzen können.

Wie kommt es also, daß von Neuentdeckungen die Rede ist, daß das, was vorher war, unter den Tisch fällt? Warum dieser Etikettenschwindel? Unter deutschen Kleinstverlegern stellt man sich meist bläßliche Bastler vor, die selten sprechen. Die in der Schule nur in Deutsch und Geschi gut sind, aber nie in Sport oder Knutschen. Schon mit fünfzehn vervielfältigen sie eine komische Schülerzeitung am Kopierer, mit achtzehn das erste Literaturfanzine, und mit zwanzig gründen sie den eigenen Wohnzimmerverlag. Sie sind immer dagegen: gegen Hochglanz und Vierfarbdruck, gegen Cola und Bravo, gegen seichte Unterhaltung und Massenkultur. Im festen Glauben, zu einer geheimen Gesellschaft zu gehören, die den unbestechlichen Blick auf den Mainstream gepachtet hat, produzieren sie Bücher, die keiner lesen will, schwierige, experimentelle, unverständliche, verknotete und verfilzte Texte in mausgrau klopapiernen Büchern, Bleiwüsten ohne Punkt, Komma und Absatz. Ab und zu ein Luxuslyrikbändchen mit vier Endlosgedichten oder ein ungeheuer bibliophiles Buch auf Bütten mit flockig hingeworfenen Grafiken, das nicht nur niemand lesen will, sondern außerdem keiner kaufen kann, weil es viel zu teuer ist. Das kümmert den Kleinverleger aber wenig, denn schließlich geht es um Ideale.

So in etwa das Klischee. Aber es gibt da eine Seite, die von den Profis offensichtlich ernster genommen wird, als es den Anschein hat. „Am Anfang dachte ich, die schauen eh auf mich herab. Inzwischen weiß ich, daß ich sehr genau beobachtet werde“, berichtet Mirko Schädel von der Achilla Presse. Er versteht es nämlich, wie die meisten seiner Kollegen, Sympathisanten um sich zu scharen. Er pflegt bodenständigen Kontakt zu einer zugegeben winzigen Szene. Die aber kennt er wie seine eigene Hosentasche, die Bücher, die er druckt, druckt er nur für sie: Selten übersteigt die Auflage eines seiner Bücher 500 Exemplare, aber wer schließlich kann auch von sich behaupten, daß er von 500 Personen weiß, was sie gerne lesen? Gerade die sogenannten Neuentdeckungen dieses Bücherfrühlings haben also gezeigt: Er hat eine bessere Nase als behauptet wird, einen Instinkt, den er eigentlich irgendwie zu Kapital machen müßte.

Klar, daß die abtrünnigen Autoren Karen Duve, Christoph Peters und Marcus Braun jetzt behaupten, die kleinen Verlage hätten ihnen nicht viel genutzt. Ausschlaggebend für den Erfolg seien erst die Preise und Auszeichnungen und dann die Wahl der richtigen Agentin gewesen. Natürlich sind sie jetzt gezwungen, über die Schludrigkeiten ihrer ehemaligen Verleger zu klagen, über mangelnde Werbung und Präsenz in den Buchläden. Unrecht haben sie damit nicht, Unrecht haben sie aber auch nicht mit ihrem schlechten Gewissen, indem sie wie Karen Duve von „Verrat“ und „Fallenlassen“ reden. „Es ist eine Gemeinheit, der Presse in den Mund zu legen, es sei mein erstes Buch. Mein Verlag weiß ganz recht, was er damit anstellt“, sagt sie, läßt sich aber andererseits auch nicht daran hindern, ihre bei Achilla Presse erschienene Erzählung demnächst bei Eichborn neu zu veröffentlichen. Auch die im Verlag Jens Neumann erschienene Erzählung von Christoph Peters wird bald in dessen neuem Verlag, der Frankfurter Verlagsanstalt, neu erscheinen. Nur Marcus Braun ist konsequent geblieben und läßt die alten Texte dort, wo sie waren.

Von Verbitterung und Wut ist derzeit viel die Rede in deutschen Kleinverlegerkreisen. Leider verharren die meisten weiter in ihrem sorgsam gepflegten Selbstmitleid. „Ich würde mich nicht von vornherein dem Markt ergeben, sonst denke ich ja schon wie die Großen“, findet Alfred Goubran von der edition selene. Dennoch muß auch er die Butter aufs Brot ja irgendwie finanzieren.

In jedem anderen Bereich, besonders in der Musikindustrie, läßt sich die Wirtschaft ihre Trend-Agenten und Szene-Scouts etwas kosten. Man mag vom Einzug der Jugendkultur in die hehren Höhen des Kulturguts Buch halten, was man will – so oder so müssen neue Strategien für Kleinverleger her, um sich irgendwie auf dem Markt zu behaupten. Es gilt, sich endlich vom stilisierten Dilettantismus zu verabschieden, von der Weigerung, sich mit Verkaufsstrategien auseinanderzusetzen. Seit kurzem werden nun endlich Stimmen laut, die es satt haben, den gutmütigen Träumer zu geben. „Inzwischen mache ich sechsseitige, detaillierte Verträge. Wo ich das Gefühl habe, es kommt noch was nach, versuche ich, eine Option auf das nächste Buch zu erwerben“, sagt Mirko Schädel von der Achilla Presse.

Auch Jens Neumann ärgert sich grün und blau, daß er bis vor kurzem sogar die Rechte an den bei ihm erschienenen Texten den Autoren gelassen hat. Auch er wird in Zukunft Optionsverträge anstreben, mit deren Hilfe er nicht nur am ersten, sondern auch am zweiten Streich seiner Autoren finanziell beteiligt sein wird. Zur Zeit entwickelt er ein Modell, nach dem er mit einer Agentin zusammenarbeitet und damit die bisher blinde Schnittstelle zwischen Groß- und Kleinverlag lukrativ zu machen hofft. So gesehen kann man also wirklich hoffen, daß der Trend der schreibenden Grünschnäbel noch eine Weile anhalten wird. Daß den großen Verlagen die Ideen mehr und mehr ausgehen werden – und daß sie irgendwann wirklich die kleinen Verlage aus ihrem selbstgewählten Dornröschenschlaf reißen. Von der ewigen Randexistenz an die fetten Töpfe, so sollte von nun an die Devise lauten.

Karen Duve: „Im tiefen Schnee liegt ein stilles Heim“. Erzählung. Achilla Presse, Bremen 1995, 20 DM

Karen Duve: „Regenroman“. Eichborn Verlag. Frankfurt/Main 1999, 36 DM

Christoph Peters: „Heinrich Grewents. Arbeit und Liebe“. Erzählung. Verlag Jens Neumann (jetzt Ventil Verlag), 1996, vergriffen

Christoph Peters: „Stadt Land Fluß“. Roman. Frankfurter Verlagsanstalt. Frankfurt/Main 1999, 38 DM

Marcus Braun: „Ohlem“. Fragment 1989 – 1992. Verlag Jens Neumann (jetzt Ventil Verlag), 1995, 16,80 DM

Marcus Braun: „Delhi“. Roman. Berlin Verlag, Berlin 1999, 32 DM

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