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Soziale Unorte

■ Jenseits von Britpop: Die großangelegte Reihe Fish & Chips im 3001 zeigt die gesamte Spannbreite des englischen Kinos Von Oliver Rohl

Der Sprecher im Off nimmt es gleich vorweg: Dies ist nicht London, auch nicht Notthingham oder sonst eine dieser britischen Industriekleinstädte, die in die Öffentlichkeit geraten, indem sie als Brutstätte blaßhäutiger BritPop-Bands dienen.

Dort, wo Small Time spielt, macht sich keine urbane Hippness breit, das zentralenglische Steinton ist ein städtischer wie sozialer Unort, eine fahle Form asphaltierter Tristesse. Und genau hier flitzen sie durch die Gassen und stehlen anderen deren mittelwertige Alltagsgegenstände, zum Beispiel 100 Dosen Hundefutter oder plastikbesetzte Hometrainer. Jumbo, Malc und eine Handvoll weiterere Minigauner sind schlechtfrisierte Ehrenräuber und bemopsen ihre Nachbarn nur, um ihre Haushalts-Hehlerware für wenig Geld an noch Minderbemitteltere zu verscherbeln. Problemlösung only for the moment und immer mit einem flotten „fucking“ auf den Lippen.

Shane Meadows' liebevolles Vorstadt-Robin-Hood-Oevre bildet den Auftakt zur zweimonatig angelegten Britfilm-Schau „Fish & Chips“ im 3001. Bis zum 30. Juni zeigen 22 Lang- sowie zahlreiche Kurzfilme aus vier Dekaden ein Vereinigtes Königreich jenseits pinker Rosamunde-Pilcher-Plüscharien. Neben den unvermeidlichen Klassikern My Beautiful Laundrette, Ladykillers, Trainspotting und Monty Python's Life Of Brian steht vor allem einer im Mittelpunkt des Geschehens: der kleine Mann, die angelsächsische Version vom Otto Normalverbraucher und seine Not mit den Verhältnissen vor seiner Haustür.

Während die einen also auf Diebesjagd gehen, um einigermaßen über die Runden zu kommen, versuchen die arbeitslosen Gaz, Gerald, Dave und Lompber in The Full Monty von 1997 als Boygroup mit Bauchansatz ihr Glück, indem sie als strippendes Ensemble „The Sheffield Dream Boys“ die Hausfrauen der Gegend in Wallung bringen.

Die achtteilige Werkschau des Sozial-Filmers Ken Loach spannt inhaltlich wie stilistisch den Bogen vom dokumentarisch angelegten Arbeiter-Epos wie in Flickering Flame – A Story Of Contemporary Morality von 1996 und Big Flame aus dem Jahr 1970 bis zu seinem aktuellen Melodram, dem wehmütigen Portrait My Name Is Joe. Loachs Hauptthema umkreist die sich verschiebenden Bedingungen von Arbeit und Besitzverhältnissen und dessen unmittelbare Auswirkungen auf die Betroffenen, eben jenen Menschen am Ende der arbeitspolitischen Fahnenstange. Joe, selbst gerade „trocken“ geworden, versucht den Jungs im Viertel im Fußballteam einen Bezugspunkt zu geben, während Maggie in Ladybird, Ladybird mehr Zeit mit Debattieren auf dem Sozialamt als zuhause bei ihren vier Kindern von vier Vätern verbringt.

Doch Loachs Blick reicht natürlich über die Grenzen der englischen Bordsteinkante hinaus: In Carlas's Song stürzt sich der Glasgower Busfahrer George mitten ins bürgerkriegsgepeinigte Nicaragua, um dort hinter das Geheimnis seiner großen Liebe Carla zu gelangen. David hingegen ist in erster Linie ein politisch fühlender Mensch. Loach läßt seinen Helden in Land And Freedom ins Spanien der 30er Jahre ziehen, um dort bei den Internationalen Brigaden gegen den Faschismus zu kämpfen. Als sich das kommunistische Ideal durch den Kontrollapparat gegen sich selbst zu richten droht, muß sich David zwischen Loyalität und seiner Liebe zu Maite entscheiden.

Um die unterschiedlichen Prinzipien von Geschichte geht es in Peter Greenaways Mosaikwerk The Falls von 1980. Der berühmteste Leinwandausstatter des Landes verknüpft darin über 90 Personen über ihren Nachnamen, der allesamt mit „Fall“ beginnt, zu einem Crossover an Biographie und Schicksal. Ungleich malerischer arbeitet Derek Jarman. Im Filmgemälde The Last Of England skizziert Jarman ein sich wandelndes London im postindustriellen England der 80er Jare. Kleine Essayeinheiten umzeichnen eine zunehmende Verstädterung der Gesellschaft. Eine globale Tendenz, illustriert an vielen effektgeladene Einzelbausteinen, anwendbar auf England, London. Und vielleicht auch auf Steinton.

Small Time: Do, 6. + So, 9. Mai, 20.30 Uhr. Brassed Off: Sa, 8. + Mo, 10. + Mi, 12. Mai, 20.30 Uhr. Under The Skin: Fr, 7. + Di, 11. Mai, 20.30 Uhr, 3001. Die Reihe wird bis Ende Juni fortgesetzt.

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