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Allein mit dem Radio

Vom Volksempfänger zum wohltemperierten Klangteppich: Eine Ausstellung über Hamburgs 75jährige Rundfunkgeschichte  ■ Von Christiane Tursi

„Hallo, hallo, hier Radio! Das macht die Menschen lebensfroh“: So tönte der Jingle des ersten Radiosenders in Hamburg, der am 2. Mai 1924 mit dem Schlag gegen ein Weinglas seinen Betrieb aufnahm. „Hier ist die NORAG für dich, mein Kind, wenn wir beide ganz alleine zu Hause sind.“ Finanzkräftige Kaufleute gründeten die „Nordische Rundfunk Aktiengesellschaft“ und wurden zu Pionieren des neuen Massenmediums Radio. Die 75jährige Geschichte des Rundfunks in Hamburg präsentiert nun das Museum der Elektrizität, das elektrum, in der Ausstellung „Sendezeit“ bis zum 13. Juni.

Zu den Exponaten gehört eine stattliche Reihe hölzerner Empfangsgeräte aus den Jahren von 1928 bis in die 60er, darunter auch die „Goebbels-Schnauze“, der Volksempfänger, durch dessen Verbreitung die nationalsozialistische Propaganda „in jedes deutsche Haus“ einziehen sollte. Die Nutzbarkeit des Radios für massendemagogische Zwecke gehört mit zu seiner Erfolgsgeschichte. Texttafeln und Photos dokumentieren den Werdegang des Hamburger Senders von der privaten NORAG in der Binderstraße über den gleichgeschalteten „Hamburger Reichssender“ der Nationalsozialisten und den Nordwestdeutschen Rundfunk der ersten Nachkriegsjahre bis zum heutigen NDR an der Rothenbaumchaussee.

Die im elektrum zusammengestellte Rundfunkgeschichte reißt auch die kuriosen Umwälzungen in den Bereichen Radiotechnik, -de-sign und Programmstil an. Das drahtige Innenleben eines alten Radios hat seinen Platz im Glaskasten, gleich neben der schwergewichtigen Radiotruhe von 1953, Plattenspieler und Schallplattensammlung inbegriffen.

Das schnarrende Pathos des Radioreporters, das als akustisches Beispiel aus einer kleinen Box kommt, ist mittlerweile aus der Mode gekommen. Ebenso wie das Schulprogramm, das laut Ausstellungstext die Mütter damit beglückte, „daß es ihnen mit Hilfe des Rundfunks gelingt, die heranwachsenden Kinder zu Hause von den verderblichen Einflüssen der Straße und der Vergnügungssucht fernzuhalten“.

Überhaupt haben sich die Hörgewohnheiten radikal verändert. Manfred Matschke, Leiter des elektrums, erinnert sich noch genau, wie Ende der 50er Jahre die ganze Familie um den Tisch herum saß und dem Hörspiel im Radio lauschte: „Das war ein Erlebnis!“ Heute seien die Einschaltquoten bei Hörspielen deprimierend, heißt es in der Ausstellung, die trotzdem die liebenswürdig einfachen Utensilien zeigt, mit denen sich Schnee-, Regen- und Windgeräusche verwirklichen lassen. Matschke bedauert, daß sich der öffentlich rechtliche Rundfunk in seinen Sendeformen immer mehr den Privaten angleiche. Wortbeiträge würden zurückgedrängt, Musikprogramme gäben den Ton an.

Wenn auf Dauer nur ein weicher Klangteppich aus Musik, wohltemperierter Moderation, Werbung und leichten News übrigbleibt, wie ist es dann um die Zukunft des Radios bestellt? Manfred Matschke sieht's gelassen: „Der Rundfunk wird überleben.“ Schließlich hat er schon 75 Jahre –rum.

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