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Zentralorgan der Liebe

■ Transplantationsthriller mit Herzattacke: Der Film „Heart“ führt vom Emergency Room unausweichlich in die Ehekatastrophe

Was macht die Seele im Emergency Room? Still jetzt, sie wird gerade transplantiert! Lecker streichelt die Kamera über den offenen Brustkorb, schneidig durchtrennt das Skalpell die lästigen Arterien, zum Vorschein kommt: das menschliche Herz. Es ist das prächtige Herz eines Boxers. Aber was hängt da nicht alles dran an diesem Zentralorgan menschlicher Kultur, von den Arterien und dem Blut mal abgesehen: Liebe, Haß, Eifersucht, Schmerz, Leid und Tod. Genug also, um die thematische Bandbreite von Charles McDougalls Organspendemassaker „Heart“ einzugrenzen.

Der, der das Herz des nach einem Verkehrsunfall hirntoten Sportlers Sean erhält, ist der herzkranke, weil notorisch eifersüchtige Gary (Christopher Eccleston). Bald strotzt er vor Vitalität und gewinnt sogar das Herz seiner Ehefrau zurück. Dann kommt er auf die dumme Idee, die Mutter seines Wohltäters aufzuspüren. Die seit dem Tod ihres einzigen Kindes völlig zerstörte Maria (Saskia Reeves) klammert sich nach ihrem Treffen obsessiv an den Gedanken, daß ihr Sohn in Gary weiterlebt. Und eine Mutter muß auf ihren Sohn aufpassen. Sie weicht dem glücklichen Herzempfänger und dessen irritierter Frau Tess nicht mehr von der Seite und findet schließlich, daß Gary mit seiner kaputten Ehe das kostbare Herz nicht verdient.

Ein wenig zu dicht und zu schnell ist dieser Film inszeniert, als daß man hier nicht schon ahnen könnte, daß Mord und Totschlag unausweichlich sind. Schon wenn Gary den Rasen mäht, hat das eine unglaubliche Gewalt. Kunstpausen werden nicht zugelassen, die Breite der Leinwand wird voll ausgenutzt. Offenkundig war hier wieder, wie so oft im jungen britischen Film, ein Fernsehteam am Werk. Tatsächlich kennen sich Regisseur McDougall und Autor Jimmy McGovern von der Arbeit an der legendären Krimiserie „Für alle Fälle Fitz“. Dementsprechend konzentriert läuft die kühl konstruierte Handlung über Streitereien und Ehebrüche auf die Katastrophe zu, ohne daß die Spannung dabei verlorengeht.

Bereits in einer Retrospektive zu Beginn sitzt Maria im Zug, in verkrampften Händen eine blutdurchtränkte Papiertüte haltend. Selbst wenn man ahnt, was sich darin befindet, weiß man noch nichts von dem Horror, den diese Tragödie heraufbeschwören wird. Doch in seiner Machart und mit seinen psychologischen Ambitionen wirkt dieser gute Thriller im Kino deplaziert. „Heart“ ist einer der seltenen Filme, die man sich lieber im Fernsehen ansehen sollte. Tiefnachts und alleine. Wenn man nur noch das eigene Herz schlagen hört. Philip Bühler ‚/B‘„Heart“. Regie: Charles McDougall. Mit Saskia Reeves, Christopher Eccleston, Kate Hardie. GB 1998, 81 Minuten.

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