Big Brother sieht manchmal auch MTV

■ Freizeitspaß wird Disziplin: Jesko Fezer und Axel John Wieder stellen Architektur-Objekte als Kommentar zur Berliner Stadtpolitik in der Galerie Kienzle & Gmeiner aus

Auf die Idee muß man erst mal kommen. Gleich im Eingangsraum ziert eine großgemusterte Bemalung die Wand der Galerie Kienzle & Gmeiner. Die Farbpalette ist zart und geschmackvoll, von Bordeaux bis Flieder, gerne auch Orange oder Rosa.

Sehr viel hübscher könnte auch eine Hommage an den Kästchen-Minimalisten Sol Lewitt nicht aussehen. Doch das geometrisch angelegte Fresko folgt einem außerkünstlerischen System: Es sind die als Kurven sichtbar gemachten Steigerungsraten der Immobilienpreise von Berlin. Auf einem Siebdruckplakat wird das Op-artige Muster unter dem Schlagwort „3D_kapital.tif“ aufgelöst. Neben Abbildungen zahlreicher Wohnungsbaugesellschaften kann man hier ein paar warme Willy-Brandt-Worte zum Hauptstadtbeschluß des Bundestages und eher harsche taz-Kommentare aus der Zeit um 1991 lesen.

Die Arbeit ist exemplarisch für die künstlerische Herangehensweise von Jesko Fezer und Axel John Wieder. Wer den Alltag in die Galerie holen will, kommt um politische und soziale Implikationen nicht herum. Das Zauberwort hinter „Welt (Oh, no!)“, ihrer ersten Berliner Ausstellung in der Galerie Kienzle & Gmeiner heißt „Kontext“: Offenbar ist die Welt der Kunst extrem komplex geworden. Statt nun die eigenen Produktionsbedingungen zu thematisieren, geht es Fezer/Wieder um diverse Konfliktstränge wie Arbeit/Freizeit, Gruppenbildung/Individualmythen oder Stadtplanung im Überwachungsstaat. Big Brother guckt manchmal auch MTV.

Nachdem die beiden Künstler zuletzt die NGBK-Ausstellung „baustopp randstad“ mitorganisiert hatten, sollte der Enthüllungsaktivismus zum Planwerk Innenstadt in einem anderen Rahmen fortgeführt werden. Dabei ist die Kritik der Stadtentwicklung geblieben, allerdings mit sehr viel mehr Willen zu offenen Formen. Statt „Hardcore-Dokumentarismus“ gibt es verspielte Zeichnungen, auf denen Bundesgrenzschutz (BGS) und Landeskriminalamt (LKA) als Comicfiguren aus dem Schulbuch herüberwinken. Mitunter reicht auch eine Collage aus, um das Zusammenwirken von Exekutive und Spaßgesellschaft offenzulegen.

Die ideologische Verzahnung liegt im Zugriff auf den urbanen Raum: Zum einen puzzelt die Ausstellung Elemente aus der Biografie der Architektin Eileen Gray zusammen, andererseits wird mit der Rekonstruktion auch die Unmöglichkeit dargestellt, stadtplanerische und ästhethische Belange unter einen Hut zu bekommen. Schon Eileen Gray war mit ihrer Utopie gescheitert: Vom Jugendstil beeinflußt fand sich die Architektin im Umfeld von Le Corbusier wieder, dessen funktioneller Baustil mit seiner Sicht auf die Gesellschaft einherging.

Wo Gray selbst Details filigran bearbeitete, rief Le Corbusier zu mehr Disziplin in der Gestaltung der Welt auf. Für sie war ein Haus dagegen „keine Maschine zum Wohnen“.

Aber war es deshalb gleich Kunst? Fezer/Wieder haben ein schlicht elegantes Schlafsofa, das die Architektin entworfen hat, mit einer selbstgebastelten „Lampe für E-7“ kombiniert. Doch ihrer Form nach ist auch die Lampe eine ziemlich hybride Konstruktion – eckig wie ein Wandschrank und mit Papier überzogen, auf dem wiederum Skizzen und Konstruktionszeichnungen zu Eileen Grays Häusern im Wechselspiel mit Ansichten der Neuen Nationalgalerie abgebildet sind. So verwirrend die Gemengelage erscheinen mag, in der Engführung von Stadtplanung und Design ist die Arbeit konsequent.

Fezer/Wieder mischen Kommentar, Zitat und Darstellung, nutzen die Fallstudie von Gray als Feldforschung zur Architektursoziologie. Damit das Szenario nicht unter der Last der Beziehungen auseinanderbricht, gibt es im letzten Raum noch Ausflüge in die Malerei oder eine überdimensionale Felltatze, die aus einer Luke im Fußboden herausschaut. Und Scherenschnitthäschen vom Potsdamer Platz. Harald Fricke

Noch bis zum 22. Mai, Öffnungszeiten: Di–Fr 13–19, Sa 11–16 Uhr, Galerie Kienzle & Gmeiner, Bleibtreustraße 54, Charlottenburg