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Die Ost-Delegation zur grünen Himmelfahrt

Gewaltfreiheit war ein Grundprinzip der DDR-Bürgerrechtsbewegung. Jetzt müssen ihre Erben auf dem grünen Sonderparteitag in Bielefeld über die Zukunft von Außenminister Fischer entscheiden  ■   Aus Dresden Nick Reimer

„Nie wieder Krieg! Nie wieder Grün!“ spuckt die Faxmaschine im Leipziger Büro von Bündnis 90/Die Grünen aus. Wieder einer, der resigniert hat. Es ist noch kein Jahr her, da beschloß die Ökopartei in Magdeburg, Kampfeinsätze der Bundeswehr konsequent abzulehnen. Zu Himmelfahrt, am 13. Mai, steht das grüne Grundprinzip der Gewaltfreiheit zur Disposition. Mit siebenwöchiger Verspätung wollen sich Außenminister Fischer und die Parteiführung das Bombenwerfen in Restjugoslawien absegnen lassen.

„Keine Gewalt!“ und „Wir sind das Volk“ – jede sechste Stimme, die auf dem Sonderparteitag in Bielefeld entscheidet, kommt aus dem Osten. Werden die Nachfolger von „Demokratie Jetzt“, der „Initiative für Frieden und Menschenrechte“ oder des „Neuen Forums“ der kriegerischen Grünen-Politik zustimmen? „Unstrittig, daß es im Kosovo krasse Menschenrechtsverletzungen gibt“, sagt der Jenaer Marco Schrul. „Aber es gab und gibt in Afrika und Südamerika wesentlich schlimmere Beispiele. Wollen wir dort überall bomben?“

Der Chemnitzer Fraktionschef Lothar Lehmann erklärt: „Man kann Frieden nicht herbeibomben.“ Sein Kreisverband faßte am Montag einstimmig den Beschluß, in Bielefeld „einen sofortigen, endgültigen Stopp der Bombardements“ ohne Vorbedingungen zu fordern und damit klar gegen die Politik von Außenminister Fischer zu stimmen. Auch andere Ostdelegierte – etwa aus Weimar, Potsdam, Apolda oder Stralsund – wollen so votieren. In Sachsen-Anhalt sprach sich der Landesvorstand gegen die Nato-Luftangriffe aus. Auf dem Landesparteitag in Mecklenburg-Vorpommern wird am Samstag mit hoher Wahrscheinlichkeit ein Anti-Fischer-Papier eine Mehrheit finden. „Das wollen wir dann auch auf der Bundesdelegiertenversammlung einbringen“, erklärt Landesvorständler Jürgen Suhr. Und auch auf dem kleinen Landesparteitag in Potsdam wird am Samstag mit einer Mehrheit gegen Fischers Politik gerechnet.

Ein ostdeutscher Ruf nach einem Ende der Gewalt – ist das die Tradition der DDR-Oppositionsbewegung? Die Bündnis-90-Meinung der grünen Partei? „Es gibt keinen Bündnis-Flügel mehr“, sagt Olaf Meister, einer von vier Delegierten aus Magdeburg. Meister selbst wird in Bielefeld den Fischer-Kurs stützen. Allerdings ist das nicht die Meinung seines Kreisverbandes.

Die Magdeburger Verhältnisse spiegeln die Stimmung in Sachsen-Anhalt wider. „Es gibt zu Fischers Politik derzeit keine Alternative“, sagt die Leipzigerin Heike König. Wie sie werden auch Delegierte aus Wittenberg, Erfurt oder Schwerin Fischer den Rücken stärken. Heike König sieht gute Chancen, diese Position durchzusetzen: „Man darf nicht vergessen, daß der Magdeburger Beschluß mit nur einer Stimme Mehrheit gefällt wurde.“ Wären nicht drei Delegierte in der Cafeteria gewesen, hätte es möglicherweise schon damals ein „Ja“ zu Bundeswehr-Kampfeinsätzen gegeben.

Neben einem „Ja“ und einem „Nein“ zu Fischers Politik gibt es im Osten auch ein „Ja, aber“. „Wir werden uns für eine befristete Feuerpause einsetzen, in der die Diplomatie eine Lösung bringen soll“, sagt die Dresdner Fraktionsgeschäftsführerin Anette Ramisch. Diese Initiative wird auch von einigen Anhaltiner und Thüringer Kreisverbänden unterstützt. Die Dresdner hatten einen entsprechenden Antrag schon auf dem Landesparteitag Mitte April eingebracht – scheiterten damals allerdings knapp. „Heute“, sagt Landesvorständler Stefan Schönfelder, „sähe das Votum wahrscheinlich anders aus.“

Soviel scheint klar: Die Zeit arbeitet gegen die Grünen. Schon heute, glaubt der Magdeburger Meister, ist der Schaden für die Partei groß. „Wir sitzen zwischen den Stühlen ,Gewaltfreiheit' und ,Engagement für Menschenrechte.‘“ Auf einer Backe säße man auf Dauer aber unbequem. Anne Voß, die grüne Spitzenkandidatin in Thüringen, sagt es ganz deutlich: „Ob wir die Fünfprozenthürde im Herbst schaffen, hängt davon ab, wie lange der Krieg noch geht.“ Immer mehr Wähler würden sich von den Bündnisgrünen abwenden. Auch die Ost-Grünen selbst sind nicht unablässig leidensfähig. Nicht verwunderlich ist deshalb, daß dem Sonderparteitag mit einiger Spannung entgegengefiebert wird. Ob sich die Pazifisten durchsetzen oder abspalten, ob die Realos die Oberhand behalten oder die Haare raufen – Hauptsache, es kommt endlich zur Positionsbestimmung der Partei. „Der Parteitag wir nicht das Ende der Grünen Partei sein, sondern klären, welche Grüne Partei existiert“, sagt die Anhaltiner Bundestagsabgeordnete Steffi Lemke.

Möglichweise wird es eine Partei ohne Joschka Fischer sein. Denn falls die Delegierten ihm die Gefolgschaft verweigern, wird befürchtet, daß der grüne Außenminister nur noch Außenminister und nicht mehr grün ist. Diese Möglichkeit sei real, sagt Steffi Lemke – und für den Osten gefährlich. Denn im Osten würden die Grünen in der Öffentlichkeit stark mit der Person Fischer identifiziert.

Die Lösung des grünen Dilemmas könnte der Dresdner Kompromiß – befristete Feuerpause ohne Vorbedingungen – sein, der nahe an dem der Bonner Parteiführung liegt. Fischer könnte damit leben. Viele Ost-Grüne aber nur schwer. Thüringens Spitzenkandidatin Voß: „Wir wollten nicht wahrhaben, daß Krieg Menschenleben fordert. Wir wollten nicht wahrhaben, daß er auch länger dauern kann. Wir haben uns in die Tasche gelogen.“

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