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■ Karin Wieland entdeckt im Blut-Worte-Gegensatz das eherne Konstruktionsprinzip der abendländischen KulturFulminanter Theorieentwurf zu Macht und Männlichkeit

Ein weiterer Band aus Suhrkamps Gender-Studies-Reihe: Das läßt auf einen schwer verdaulichen Cocktail aus Zitaten von Lacan, Foucault und Judith Butler schließen. Ganz falsch. Karin Wielands Buch ist nicht schwer zu lesen und kommt, obwohl eine Dissertation, mit wenigen Zitaten aus und verzichtet auf die üblichen schweren Theoriegeschütze. Wichtiger noch: Es enthält einen der originellsten Theorieentwürfe der jüngsten Zeit. Die Autorin hat die Bedeutung entdeckt, die der Gegensatz von Worten und Blut für die Geschichte der europäischen Kultur und für die nach wie vor aktuellen Männlichkeitsideale hat.

Im Neuen Testament ist Karin Wieland auf den Gegensatz von Wort und Blut gestoßen. In ihm kommt deutlich der Dualismus von Kultur/Natur, Geist/Körper, Form/Materie zum Ausdruck. Die Sache mit diesem Gegensatz verhält sich indes komplizierter. Das Blut steht nicht nur für alles Körperliche, für Sexualität, Verwandtschaft und Gewalt.

Es repräsentiert darüber hinaus den Opfertod, den Jesus am Kreuz gestorben ist. Und die Worte sind mehr als die Werkzeuge, die die Menschen verwenden, um die Welt zu beschreiben, ihre Gefühle auszudrücken und ihre Handlungen zu koordinieren. Die Worte stammen von Gott selbst, der mit ihnen angeblich alles Existierende geschaffen hat. Im Anfang war das Wort...

Karin Wieland behauptet, daß die Dialektik von Worten und Blut die abendländische Geschichte durchzieht und sie vorangetrieben hat. Was sich im Lauf der Zeit ändert, ist die jeweilige Sturktur dieses antagonistischen Verhältnisses.

Am Anfang des 11. Jahrhunderts bildet sich in Frankreich ein feudalistisches Herrschaftssystem heraus. Der König verliert die Macht über Worte und Blut an die Geistlichen und die Ritter. Die Geistlichen monopolisieren die Interpretation der Worte Gottes, dürfen aber kein Blut vergießen. Die Ritter monopolisieren die Mittel der physischen Gewalt, haben aber mit der Auslegung der Bibel nichts zu tun.

Dieses starre System der Kompetenzaufteilung wird bald ausgebaut. 1075 führt Papst Gregor VII. das Zölibat ein. Dadurch verwandelt sich der König in einen Laien. Die Geistlichen dürfen ihr Blut fortan nicht mehr mit anderem Blut vermischen; dafür reißen sie das Recht an sich, die Heiraten der weltlichen Herren zu legitimieren.

Im 12. Jahrhundert kommt es zu neuen Allianzen zwischen den Repräsentanten der Worte und des Bluts. Die Geistlichen verbünden sich mit dem König, dessen Blut sie für göttlich erklären. Die Ritter gebrauchen jetzt die Worte zur Selbstkultivierung (im Minnedienst) und zur Rechtfertigung ihrer gefährdeten Machtposition. Es beginnt der Aufstieg des Bürgertums, dessen Machtbasis das Geld ist. Das Geld macht die Worte und das Blut zu käuflichen Dingen.

Im 13. Jahrhundert bildet sich eine umfassende zentralistische Ordnung heraus. Neben die Geistlichen treten neue Spezialisten des Wortes (Verwaltungsbeamte, Juristen, Philosophen), die gemeinsam die gesellschaftliche Ordnung aufrechterhalten. Im Bereich der Worte kommt es zum unversöhnlichen Kampf zwischen Wissen und Glauben, zwischen dem Logiker Abailard und dem Mystiker Bernhard von Clairvaux.

In einfühlsamen biographischen Erzählungen gelingt Karin Wieland immer wieder die Verdichtung von paradigmatischer Lebensgeschichte mit Zeitgeschichte. Das gilt insbesondere für den Dichter Petrarca, den Theoretiker Leon Battista Alberti und den Höfling Baldesar Castiglione.

Im Italien der Renaissance triumphiert die neue Kulturbourgeoisie der Humanisten, die die Worte fetischisiert, weil ihre gesamte Macht auf ihnen beruht. Die Humanisten erfinden sich den Mann der Moderne – ein Geschöpf, das glaubt, daß es sich allein durch Worte selbst erzeugen und sich vom Blut völlig unabhängig machen kann.

Petrarca erfindet den modernen Künstler, der den Ehrgeiz hat, durch seine Kunst unsterblich zu werden, Alberti kreiert den modernen Wissenschaftler, der danach strebt, sich von seiner inneren Natur völlig zu distanzieren, um sich die äußere Natur zu unterwerfen. Und Castiglione erfindet den modernen Politiker, der versucht, sich selbst so weit wie irgend möglich zu erkennen, damit er sein wahres Selbst vor anderen verbergen kann.

Karin Wieland hat ein atemberaubendes Buch geschrieben. Eines, das mit seinen Schlüsselthesen einen furiosen interdisziplinären Bogen spannt. Über Einzelheiten ließe sich natürlich streiten. Zum Beispiel, ob Castiglione tatsächlich eine bahnbrechende Figur für die Moderne gewesen ist. Man kann auch fragen, ob nicht die ganze Theoriekonstruktion allzu idealistisch geraten ist, das heißt, ob sie ökonomische, politische und militärische Machtinteressen hinreichend berücksichtigt. Aber das sind kleinliche Einwände.

Auf die Idee, die europäische Geschichte vom Hochmittelalter bis zur Renaissance nach dem Worte-Blut-Ordnungsprinzip zu rekonstruieren, ist noch niemand zuvor gekommen. Und auf den Einfall, in der Renaissance die Ursprünge moderner Männlichkeitsmodelle zu finden, ebenfalls nicht. Wer aufgrund des falschen Labels der Gender-Studies dennoch zu diesem Buch gefunden hat, wird diesen kulturhistorischen Wurf im Gedächtnis behalten. Frank Ufen

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