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Ein Handwerker der Emotionen

Ralph Siegel war erstmals 1974 beim europäischen Popwettbewerb Grand Prix Eurovision vertreten. Damals betraute ihn Luxemburg mit der Aufgabe, einen würdigen Titel zu komponieren. Heraus kam Ireen Sheers Song „Bye Bye I Love You“. Die Engländerin belegte, weit abgeschlagen hinter Abbas „Waterloo“, den vierten Platz.

Der jährliche Wettbewerb wurde zu Siegels Obsession. 1976 belegte sein Popsong „Sing Sang Song“ für die Les Humphries Singers zwar im deutschen Vorentscheid nur den zweiten Rang, doch gelang es Insidern nachzuweisen, daß der Siegertitel, Tony Marshalls „Der Star“, disqualifiziert werden müsse, weil er – Parallele zu diesem Jahr – schon vor dem Contest öffentlich aufgeführt worden war. International landete Siegels Lied ganz weit hinten.

1979 gelang dem Sohn des Komponisten Ralph Maria Siegel („C'est si bon“) und der Sängerin Ingeborg Döderlein der Durchbruch mit der von ihm selbst kreierten Gruppe Dschingis Khan, die mit dem gleichnamigen Titel in Jerusalem allen Bedenkenträgern zum Trotz – in Israel mit einer Mongolenhorde, wie taktlos! – den vierten Rang belegte. 1980 verhalf er Katja Ebstein mit „Theater“ zu einem Comeback mit Platz zwei; 1981 wurde er abermals Zweiter mit Lena Valaitis und der Blindenhymne „Johnny Blue“. Titel allesamt, die ihn als Handwerker der Emotionen ausweisen: kalkuliert durch und durch.

1982 schließlich Siegels Triumph: Wie immer assistiert durch den Texter Bernd Meinunger, schrieb er der Saarländerin Nicole eine zeitgeistige Klage auf den zarten Leib: „Ein bißchen Frieden“ siegte mit einem der größten Vorsprünge in der Grand-Prix-Geschichte.

Seither könnte Siegel, tantiemenmäßig betrachtet, pausieren. Mit seiner Firma Jupiter lebt er das typische Leben eines wohlhabenden Münchners – barock, fidel und eingewoben in die Schickeria Bayerns. Doch der Mann wollte unbedingt Nicoles, also seinen Sieg wiederholen – hungrig nach öffentlicher Anerkennung und gierig nach europäischem Eurovisionsdank. Er wartet bis heute auf diesen Erfolg, gleichwohl ihm mit der Gruppe Wind 1987 mit „Laß die Sonne in Dein Herz“ und dem Girlretortentrio Mekado 1994 („Wir geben 'ne Party“) ein zweiter bzw. dritter Rang glückten.

Vor zwei Jahren schwor er, Bianca Shomburgs Titel „Zeit“ sei siegesfähig, doch der ging bei den europäischen Juroren baden; dieses Jahr soll es die turkodeutsche Gruppe Sürpriz sein, die seine Botschaft transportieren möge: Alle Menschen sollen sich verstehen. Stürzt seine Band am 29. Mai in Jerusalem ab und landet weit hinten, also nicht auf Platz eins, wird er beteuern, nächstes Jahr auszusetzen. Spätestens am Jahresende wird die Grand-Prix-Gemeinde wissen: Siegel wird sein Versprechen wieder nicht halten. JaF

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